Nationalismus: Mittel zum Zweck-betr.: "Drei Vorschläge für Jugoslawien", taz vom 23.11.91

betr.: dito

[...] Das so tief Frustrierende dieses Appells ist die so weit verbreitete fixe Idee, bei diesem Krieg handelt es sich um einen irrationalen „brudermörderischen Krieg ohne Ziel“, um den Krieg der „Religionen“, der „Völker“, der „Vergangenheit“. Den Krieg in Kroatien auf dieses irrationale Moment zu reduzieren, ist jedoch schlicht und einfach falsch.

Tatsache ist: die jugoslawische „Volksarmee“ kämpft um ein „sozialistisches“ Jugoslawien (das mit dem Sozialismus nichts zu tun hätte), in dem sie ihre Privilegien bewahren könnte. Darüberhinaus sind die Gebiete Kroatiens, die von den serbischen Nationalisten erobert werden sollen, wirtschaftlich höchst interessant: Slawonien als Kornkammer Jugoslawiens (zusammen mit Wojwodina), Dubrovnik beziehungsweise Dalmatien als devisenbeschaffende Touristenzentren. Die wirtschaftlichen und ideologischen Momente sind die eigentlichen Kriegsziele — der bewußt aufgestachelte Nationalismus das Mittel, diese Ziele zu erreichen.

Und dann der folgende Satz des Appells: „Wie legitim auch immer die Sache der jeweiligen Seite sein mag: Wenn Waffen und Blut gewählt werden, dann dürfen wir uns nicht auf die Seite einer Sache gegen die andere, auf die Seite eines Nationalismus gegen den anderen stellen — selbst dann nicht, wenn, wie jetzt, das Ungleichgewicht der Kräfte so groß ist, daß die Bevölkerung Kroatiens der ,Bundes‘-Armee auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist.“ Ich kann daraus nur folgendes schließen: Die „Sache“ der Bevölkerung Kroatiens — wohlgemerkt nicht bestimmter Kreise in Kroatien, sondern der Bevölkerung — ist der Nationalismus. Also: Zuerst soll die Bevölkerung, die der Zerstörung „auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist“, ihr moralisches Führungszeugnis vorlegen (am besten den elf Schriftstellern) und sich verpflichten, bei ihrer Verteidigung auf „Waffen und Blut“ zu verzichten. Erst dann, nachdem die Bevölkerung die Rolle des edlen Opfers übernommen hat, kann sie auf Beistand rechnen. Oder auch nicht.

Und zum Schluß: Warum vermeiden es die Elf zu sagen: das kostbarste gemeinsame Gut und das Interesse und die Pflicht aller sind sowohl der Friede als auch die Demokratie?! Weil die Demokratie so schwer zu erreichen wäre? Aber der Friede ist es doch auch. Weil die Demokratie nicht so wichtig ist wie der Friede? Wenn die Elf das meinen, so wäre es wichtig, uns darüber aufzuklären: wann ist der Kampf um die Freiheit (zivile Gesellschaft, Demokratie) zugunsten des Friedens aufzugeben?

Denn in der Tat könnten die Kroaten den Wunsch nach Frieden schnell erfüllen: sie müßten nur kapitulieren. Und dann wäre doch alles wieder in Ordnung: der Friede, das kostbarste Gut, wäre da; auch Jugoslawien würde weiter existieren; und vielleicht würde sogar Peter Handke wieder vom „neunten Land“ zu träumen anfangen. Kazimir Drilo, Berlin