Angriff auf die diffuse Gesamtheit "Lesben"-betr.: "Wir Lesben - ein Volk" von Susanne Kappeler, taz vom 13.11.91

betr.: „Wir Lesben — ein Volk“ von Susanne Kappeler,

taz vom 13.11.91

Ein sich bestätigendes Aufatmen geht durch die Hetero-Gemeinde: Haben wir es nicht schon immer gewußt! Erstens sind Lesben auch nicht anders, und zweitens ist ihr Separatismus faschistoid! Diesen Schluß legt jedenfalls die polemische „Message“ des Artikels nahe. Susanne Kappeler beschreibt Mechanismen, an denen deutlich wird, daß Angehörige der Dominanzkultur sich als Mächtige subjektiv selbst inszenieren, und selbst die Angst der AusländerInnen hinter der Angst der Identitätskrise der InländerInnen auf der Tagesordnung thematisch verschwindet. So weit, so richtig.

Die Bereitschaft des Mop genau die Minderheiten als Aggressionsopfer zu benutzen, die weitestgehend rechtloser und daher wehrloser sind; dies alles ist historisch wie gegenwärtig bekannt. Und nun, statt die systemimmanente Interessenallianz der politischen und ökonomischen Klasse anzugreifen und aufzuzeigen — dies wäre wirklich provokativ — greift Kappeler, quasi als ähnlichen Reflex, die relativ ausgegrenzte (in Bezug auf Macht, Ökonomie und Status) diffuse Gesamtheit „Lesben“ an, um sie zur Rechenschaft zu ziehen. [...]

Kappelers Interpretation und Zitiererei ist oberflächlich und geht offensichtlich über die ersten 20 Seiten nicht hinaus. Der Begriff der Gemeinschaft, dem philosophischen Diskus entwendet, beinhaltet in der Tat, Utopie von Freiheit als Identifizierung gemeinsamer Wertidentifizierung. Es ist böswillige Denunziation diesen separatistischen politischen Veränderungsentwurf einer radikal-feministischen Theoretikerin mit der Position eines Faschisten gleichzusetzen!

Kappeler setzt die Position von Partizipatoren und Vorkämpfern des Rassismus gleich mit der Ausgangslange derjenigen, die im Widerstand begriffen sind. Die von außen aufgezwungene Identität, die sie bei ImmigrantInnen sieht, ist die Basis lesbischer Auseinandersetzung um Identitätsbegriffe. Der heterosexualistische Kontext wird von Lesben in ihrer beabsichtigten Abgrenzung als Fremd-SelbstVerständlichkeit infrage gestellt. Wie nötig diese Abgrenzung ist, beweist die Vereinnahmung, die sie anhand der Sprachhülsen eines SPD-„Fritzis“ aufzeigt. Die oberflächliche Übernahme des Frauenbewegungsjargons ist noch lange kein Indiz dafür, daß das ursprünglich Gemeinte nicht kritisch und widerständig war. [...]

Kappelers Absicht, mittels Provokation, Lesben aufzufordern, sich weltzugewandt der politischen Verantwortung zu stellen, ist angekommen. Doch auch diese Diskussion läuft unter Lesben schon seit gestern. Wir ist nicht unkritisch homogen (vgl. Leseinnenforum IHRSINN 2/90 „Unterschiede“)!

Ebenso gehört die Beschreibung expandierender lesbischer Subkultur auf den historischen Müll. Die Anzahl der Projekte und Initiativen schrumpft und/oder wird von behördlicher Willkür per materiellem Entzug ausgedörrt. Die Prosperität der liberalen Zeit ist längst vorbei. Zwangsläufig hat sich die Öffnung vollzogen: die Gemeinschaft ist ein Wunsch, die Identität ein Mythos.

Und dennoch gibt es die, die sich gegen die Verspießerung des „Mainstream“ entschieden haben und nicht an der üppigen Tafel speisen, und dies ist die Konsequenz ihrer politisch-feministisch-lesbischen Entscheidung. U.Magdalene Vieten,

Katrin Albers, Oldenburg