piwik no script img

GASTKOMMENTARELiberaler Blackout

■ Bonn ist bereit, über den Umweg Europa das Asylrecht zu streichen

Was als neuer Kompromiß der Regierungskoalition in der Asylfrage daherkommt, ist ein letztes böses Bubenstück des Taktikers Wolfgang Schäuble. Der ist kein Überzeugungstäter, sondern Meister in Ausweichmanövern. Kommt er in seinem erklärten Primärziel „Aufhebung des Asylrechts“ nicht weiter, versucht er es mit Seitenmanövern bei freundlichst signalisierter Kompromißbereitschaft. Ergebnis 1: Der Artikel 16 bleibt (vorerst) bestehen. 2: Der Artikel 16 wird weitgehend außer Kraft gesetzt. 3: Die Idee eines zivilen, weltoffenen Europas geht noch ein bißchen mehr vor die Hunde.

In Zukunft sollen all die Asylsuchenden bereits an der Grenze abgewiesen werden, die die Bundesrepublik mittels Durchreise durch „sichere Länder“ erreichen, in denen sie bereits einen Asylantrag hätten stellen können. Klingt vernünftig, klingt überhaupt kein bißchen nach Aufhebung des Asylrechts, sagten sich die begnadeten Verhandlungsführer der Liberalen und stimmten zu. Sie strichen damit mal eben die letzte Bastion liberaler Innenpolitik der letzten Jahre. Es darf vermutet werden, daß die Herren Lambsdorff, Solms, Genscher und Kinkel bei diesem leichtfertigen Kopfnicken einen liberalen Blackout hatten und sich nunmehr verblüfft die Augen reiben. Wie es die neue Ordnung der europäischen Welt so will, ist die Bundesrepublik nämlich neuerdings geradezu umzingelt von Demokratien. Da wir trotz vieler diesbezüglicher politischer Bemühungen immer noch keine real existierende Insel geworden sind, wird ein Asylsuchender die Wohlstandsinsel BRD gar nicht erreichen können, ohne diese Demokratien dabei zu durchqueren. Würde der politisch Verfolgte die Bundesrepublik zu Schiff zu erreichen versuchen — ebenfalls Abweisungsgrund, da diese Schiffe unter nationalen Flaggen fahren. Der einzige Weg, die Bundesrepublik also direkt und damit antragsberechtigt zu erreichen, ist das Flugzeug — falls der politisch Verfolgte nicht per Kanu den Hamburger Hafen anpaddeln will. 90 Prozent der Asylsuchenden wären damit bürokratisch säuberlich abzuweisen. Für diesen schönen „Kompromiß“ war Herr Schäuble bereit, den Liberalen den „Erfolg“ zu gönnen, das Asylrecht (verbal) mannhaft verteidigt zu haben. Heilige Einfalt!

Die anderen Europäer werden sich herzlich dafür bedanken, den Deutschen die folgenlose Beibehaltung des Artikel 16 dadurch zu ermöglichen, daß sie ihnen die Asylsuchenden abnehmen. Sie verstehen das ganze Manöver wahrscheinlich als verbindliche Ankündigung: die Bundesregierung ist bereit, über den Umweg Europa das Asylrecht zu streichen. Und genau so ist es auch gemeint. Antje Vollmer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen