„Keine Freude über die Anwendung der Schußwaffe“

Im Mauerprozeß gegen vier Ex-DDR-Grenzsoldaten werden frühestens im Januar die Urteile gefällt  ■ Aus Berlin Thorsten Schmitz

Zweieinhalb Stunden dauerte gestern die Anhörung des Zeugen Hans-Joachim Mühlmann im Prozeß um den Tod des Chris Gueffroy. Zweieinhalb Stunden kam die Verhandlung nicht voran. Was der ehemalige Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit und Angehörige der militärischen Abwehr im Grenzregiment 33 in Berlin-Treptow von sich gab, waren schwammige Worthülsen, Ausflüchte und bereits bekannte Fakten. Sonst nichts.

Auch Mühlmann spitzelte nach den tödlichen Schüssen innerhalb der Grenztruppe die „Stimmung“ aus: „Es ging darum, den Personalbestand zu überprüfen.“ Weil weder der Vorsitzende Richter, Theodor Seidel, noch die Verteidiger mit dieser Erklärung etwas anfangen konnten, „konkretisierte“ Mühlmann: „Das heißt, man spricht mit Personen, um zu erfahren, wie die Stimmung innerhalb der Truppe ist.“

Wie die bereits angehörten Stasi- Zeugen zuvor wollte auch Mühlmann sich nicht mehr an das Ergebnis der Stimmungssondierung erinnern. Nur eines konnte er mit Sicherheit sagen: „Es herrschte keine Freude über die Anwendung der Schußwaffe.“

Ansonsten das übliche Spiel: Mühlmann blieb stur und in seinen Angaben denkbar diffus. Auch nachdem Verteidiger Henning Spangenberg nach zweieinhalb Stunden den Richter darum bat, Mühlmann (46) noch einmal befragen zu dürfen: der Stasi-Zeuge bleibt stumm; Richter, Staatsanwalt und die Verteidiger stoßen auf Granit.

Aus Einsicht in die Vernunft hatte Staatsanwalt Herwig Großmann bereits am Montag die Verteidiger gebeten, auf die Vernehmung weiterer (Stasi-)Zeugen zu verzichten. Dadurch könne schneller ein Urteil gesprochen werden, und das liege ja durchaus auch im Interesse der angeklagten vier ehemaligen Grenzsoldaten: „Sonst ufert das Verfahren noch aus.“ Bei Spangenberg, der den mutmaßlichen Todesschützen Ingo Heinrich verteidigt, fand diese Bitte kein Gehör. Er wolle „keine Kompromisse“ eingehen, beschied er gestern die Journalisten am Rande der Verhandlung. Schließlich sei damit zu rechnen, daß die 23. Große Strafkammer des Moabiter Landgerichts eine hohe Freiheitsstrafe verhängen werde.

Mit allen Mitteln — und also auch denen der Anhörung von Stasi-Zeugen — versuchen Spangenberg und seine Kollegen Andrea Würdinger und Erich Buchholz daher aufzuklären, wo der Untersuchungsbericht der Stasi zu den Todesschüssen geblieben ist. Heinrichs Verteidiger behaupten, bislang unbewiesen, daß Chris Gueffroy nicht durch einen direkten Schuß ins Herz gestorben ist, sondern durch einen Querschläger. Sollte dies tatsächlich der Fall sein — und nichts spricht dafür —, wäre Heinrich entlastet.

Trotz des Appells der Staatsanwaltschaft, zügig zum Ende zu kommen, wird das bereits seit drei Monaten laufende Verfahren noch mindestens bis zum Januar nächsten Jahres fortgesetzt. Richter Seidel, der, unbeirrt durch heftige Kritik von den Verteidigern und Medien, den Prozeß souverän führt, setzte gestern weitere acht Verhandlungstage an bis zum 30. Dezember.

Wohlweislich beendete er den 19.Verhandlungstag mit den Worten: „Ich weiß nicht, was noch an Zeugen kommt.“