Kapital in Aufbruchstimmung

Arbeitgeberverband Gesamtmetall zeigt Beispiele des Aufschwungs in Ostdeutschland/ Lob für Fachkräfte, Schweigen über Arbeitslose  ■ Von Martin Kempe

Mr. Hughes kommt aus Amerika und ist ein geborener Entertainer. Mit bewegten Worten schwärmte er vor 800 ost- und westdeutschen Unternehmern von den „dramatischen, ergreifenden Szenen nach der Öffnung der Mauer“, von der Sehnsucht der Menschen Ostdeutschlands nach Freiheit, Mobilität und Wohlstand — und vor allem nach dem Opel. Denn Mr. Hughes ist Vorstandsvorsitzender der Adam Opel AG, und was er den Ostdeutschen zuallererst bringen will, sind seine Autos: „1988 verzeichnete die amtliche Statistik der DDR nicht eine einzige Opel- Neuzulassung“, verkündete er. Und heute? „Wir sind Marktführer. Wir gehen den Opel-Eisenach-Weg.“

Der Opel-Manager verkündete seine Botschaft am Mittwoch auf einer Veranstaltung des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall in der Kongreßhalle am Ostberliner Alexanderplatz, „Wege in die Zukunft — die M+E-Industrie in den fünf neuen Bundesländern“. M+E steht für Metall- und Elektro-Industrie, einen Industriezweig, der einst das industrielle Rückgrat der DDR-Industrie war. Nach einer Studie der Unternehmensberatungsfirma McKinsey werden am Ende des dramatischen Schrumpfungsprozesses nur rund 200.000 bis 300.000 Arbeitsplätze den Strukturbruch überstehen— eine pessimistische Prognose, der Gesamtmetall nun Aufbruchstimmung entgegensetzen wollte.

Dafür gibt es niemand Geeigneteren als Mr. Hughes. Ende 1992 soll das neue Eisenacher Opel-Werk mit 2.000 Beschäftigten stehen, in dem nach Hughes Worten eine „neue, ganzheitliche unternehmerische Strategie“ mit Gruppenarbeit, einheitlichem Entgeltsystem, neuen Materialversorgungs- und Informationssystemen verwirklicht werden soll — also ein Werk auf dem neuesten Stand, in das die Erfahrungen von General Motors aus der Zusammenarbeit mit japanischen Autokonzernen eingeflossen sind.

Auch der Siemens-Boß Karlheinz Kaske versuchte, Optimismus zu verbreiten. Siemens beschäftigt inzwischen rund 20.000 Menschen in Ostdeutschland. Wie Hughes begründete Kaske die Siemens-Investitionen in den neuen Ländern mit den Vorteilen marktnaher Produktion. Der Ausbau der ostdeutschen Infrastruktur wird, so hofft Kaske, dem Konzern auf Jahre hinaus zweistellige Wachstumsraten sichern. Vor allem aber schwärmte er von den ostdeutschen Fachkräften: Sie seien hochmotiviert, leistungsbereit und besäßen beste Grundqualifikationen, die schnell auf westdeutschen Stand gebracht werden können.

Wegen der ostdeutschen Facharbeiter hat sich der holländische Maschinenfabrikant Hendrikus Lodewijk Rijkaart die Dresdner Maschinenfabrik Kosora gekauft. Denn in seiner Heimat konnte das expansive Unternehmen für Bäckereimaschinen die nötigen Fachkräfte nicht mehr finden. Über seine neuen Mitarbeiter in Ostdeutschland äußert sich Rijkaart in den höchsten Tönen, aber die Querelen der Deutschen untereinander machen ihm das Leben schwer. So hätten westdeutsche Lieferanten bei seinem Dresdner Zweigbetrieb Vorauskasse verlangt, und auch die Kunden seien mißtrauisch: „Man zögert mit Aufträgen, wenn wir zu erkennen geben, daß die Maschinen in unserem Werk in Dresden hergestellt werden sollen.“

Der Frankfurter Unternehmensberater Roland Berger betonte die entscheidende Rolle des Mittelstandes für den Wiederaufbau einer industriellen Basis in Ostdeutschland. Und um einen Wiederaufbau handelt es sich, denn „kein Unternehmen kann mit den alten Produkten überleben“. Die Großindustrie sei auf ein Fundament von mittelständischen regionalen Zulieferern angewiesen. Die von Politikern gern zitierte Gründungswelle in Ostdeutschland sei allerdings noch kein Indiz für das Neuentstehen eines industriellen Mittelstandes. Denn die Masse aller Gewerbeanmeldungen beträfen den Dienstleistungssektor. Bei den privatisierten Unternehmen dagegen sei der industrielle Bereich mit immerhin 78 Prozent vertreten. Insgesamt erwartet Berger, daß das Beschäftigungsniveau der ostdeutschen Industrie auf etwa ein Drittel des Vorwendestands absinken wird.

Eine erstaunlich geringe Rolle spielte auf der Arbeitgebertagung der gewerkschaftliche Gegner. Zwar fehlte es nicht an warnenden Hinweisen, die Lohnangleichung komme für viele ostdeutsche Betriebe zu schnell. Aber die schrilleren Töne blieben Minister Möllemann vorbehalten, der vor der „größten Gefahr für den bevorstehenden Aufschwung Ost“ warnte und schon die Abschlüsse 1992 vorwegnahm: Sie dürften „nicht mehr als eine Vier vor dem Komma“ aufweisen.

Die Unternehmer nahmen's gelassen und freuten sich an dem Amerikaner Hughes, der mit deutschem Kulturgut Aufbruchstimmung zu verbreiten suchte: „Der Mensch hat die Kraft, das Gute zu wollen und zu vollbringen.“ (Goethe) Und so war viel von Arbeitsplätzen und sozialer Verantwortung der Unternehmer in der einst realsozialistischen Kongreßhalle zu hören. Aber diese Verantwortung bezieht sich nur auf die „Mitarbeiter“ und nicht auf die Mehrzahl jener, die schon jetzt im Wirtschaftsprozeß Ostdeutschlands keinen Platz mehr haben.