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Es stinkt unter dem Mantel des Schweigens

Jahrelang verschluderten Bochumer Polizeibeamte die Verfolgung eines 40fachen Vergewaltigers/ Grund: Der Verdächtige ist Sohn eines hohen Polizeibeamten/ Die Opfer warten auf Gerechtigkeit, dem Verdächtigen geht's gut  ■ Von B. Markmeyer/S. am Orde

Bochum (taz) — Eine Serie brutaler Vergewaltigungen: Ein Täter, maskiert mit einem schwarzen Dreieckstuch und bewaffnet mit einer Pistole, überfällt Frauen nach dem immer gleichen Muster. Ermittler tappen jahrelang im dunkeln. Und dann – eine heiße Spur! Die Polizei ermittelt fieberhaft. So müßte der Fall eigentlich laufen. In Bochum läuft alles genau umgekehrt. Als die Polizei endlich eine heiße Spur hat, wird sie nach allen Regeln der Kunst verwischt.

Nach mehreren Vergewaltigungen im Bochumer Uni-Viertel erscheint im Oktober 1981 die Studentin Ursula E. auf der Polizeiwache in Bochum-Querenburg im Uni-Center, läßt sich die Täterbeschreibung geben und berichtet nach einigem Zögern, die Beschreibung treffe auf den Freund ihrer Freundin, einen gewissen V., zu. Und noch etwas teilt sie dem diensthabenden Schutzpolizisten mit: V. sei der Sohn eines hohen Bochumer Kriminalbeamten.

Ursula E.s Aussage taucht in den Akten der Bochumer Kriminalpolizei nie auf. Die zuständigen Beamten erfahren nichts von der brandheißen Spur. Sie ermitteln weiter gegen Unbekannt. Ende 1982 bricht die Vergewaltigungsserie ab. Etwa ein Jahr später geben die Ermittler auf. Vierzig schwere Sexualverbrechen bleiben unaufgeklärt.

Der Düsseldorfer 'Stern‘-Redakteur Werner Schmitz kam nach umfangreichen Recherchen in der Illustrierten am 17. Oktober dieses Jahres zu „einem schrecklichen Verdacht“ gegen die Bochumer Kripo, als er sich fragte, warum die Ermittlungen so sang- und klanglos in der Versenkung verschwanden: „Weil der Verdächtige der Sohn eines ihrer hohen Beamten war?“ Weil V. senior, Anfang der 80er Jahre Dienststellenleiter des für die Bearbeitung von Sittendelikten zuständigen Kommissariats und Chefermittler in Sachen „Uni-Täter“, höchstselbst jene Nachforschungen vereitelte, die seinem Sohn als Haupttatverdächtigem hätten gelten müssen? Weil weitere Beamte der Bochumer Kripo V. senior beim Vertuschen halfen? Und weil später Bochumer Staatsanwälte zwei Verfahren — eins gegen V. junior wegen Vergewaltigung und eins gegen Bochumer Kripo-Beamte wegen Strafvereitelung im Amt — trotz erheblicher Verdachtsmomente einstellten?

Die Wahrheit muß endlich ans Licht

Weder die Bochumer Polizei noch die Justizbehörden haben bis heute den Darstellungen des 'Stern‘-Redakteurs widersprochen. Während selbst Bochumer Streifenpolizisten auf den von Schmitz „sehr eindeutig untermauerten Verdacht“ (polizeiinternes Flugblatt) angesprochen werden, schweigt sich Polizeipräsident Günter Schermer aus. Nach Informationen der taz hat er nie ein disziplinarrechtliches Verfahren gegen einen der möglichen Vertuscher in Gang gesetzt und keinen Beamten vom Dienst suspendiert. Das aber fordert inzwischen eine Mehrheit der Bochumer Polizisten. „Die Wahrheit muß ans Licht“, verlangen sie in ihrem Flugblatt vom 29. Oktober, denn der „schwere Verdacht lastet weiter auf unserer Behörde und damit auch auf uns“.

Innenminister Herbert Schnoor hat Mitte November vom Bochumer Polizeiskandal „mit tiefer Betroffenheit Kenntnis genommen“ und dienstaufsichtliche Verfahren eingeleitet. Doch warum erst jetzt? Der Polizeipräsident Schermer behauptet, seine übergeordnete Behörde, den Regierungspräsident (RP) Arnsberg, bereits 1985 über die Bochumer Vorfälle informiert zu haben. Schon damals hätte der RP Disziplinarverfahren gegen die betroffenen Beamten einleiten und den Innenminister als obersten Dienstherrn informieren müssen.

Der Fall liegt jetzt zur erneuten Überprüfung auf dem Schreibtisch des Essener Staatsanwalts Schmalhausen. Er ermittelt wegen Vergewaltigung gegen V. junior und wegen Strafvereitelung im Amt gegen mehrere Bochumer Polizisten und einen Bochumer Staatsanwalt. Anders als der Innenminister sieht der Justizminister in Düsseldorf jedoch „bisher keinen Anfangsverdacht für ein Dienstvergehen“ des Bochumer Staatsanwalts und leitete deshalb auch keine disziplinarrechtlichen Ermittlungen ein.

Die Anzeige erstattete dagegen die Münsteranerin Heike M. direkt beim nordrhein-westfälischen Justiz- und beim Innenministerium, nachdem sie durch die 'Stern‘-Recherchen erfahren hatte, wie die Strafverfolgungsbehörden ihren Fall verschluderten. Die heute 29jährige Heike M. wurde am 12. Oktober 1978 im Münsteraner Schloßgarten Opfer des Mannes mit dem schwarzen Dreieckstuch. Er bedrohte sie mit der Pistole, zwang sie, so der Polizeibericht, „zum GV, Mundverkehr, Analverkehr“. Heike M. war 16 Jahre alt. Damals erstattete sie ihre erste Anzeige. In Münster ermittelte die engagierte Kriminalbeamtin Gudrun Schramm. Und weil der Täter die Münsteraner Polizei dauernd in die Irre führte, ging Schramm davon aus, daß „hier ein Polizeikenner am Werk war“. Dafür sprach auch, daß der Vergewaltiger nie Spuren hinterließ. In den Jahren 1978 bis 1982 setzte sich die Vergewaltigungsserie in unterschiedlichen Zeitabständen fort. Bevorzugte Tatorte: Münster und das Bochumer Uni-Viertel.

„Heute passiert sowieso nichts“, sagte er

In Bochum hatte unterdessen ein Hauptkommissar von der „Sitte“ die Fahndung aufgenommen. Er ließ das Uni-Gelände beobachten und weibliche Kriminalbeamte als „Lockvögel“ einsetzen. Immer wenn die Beamten präsent waren, passierte nichts. Nur wenn die Beobachtung ausgesetzt wurde, schlug der Vergewaltiger zu. Vor diesem Hintergrund war, was die Studentin Ursula E. im Oktober 1981 über jenen V. junior auf der Polizeiwache zu Protokoll gab, höchst brisant: Sie wisse, daß V. junior seine Freundin angerufen und sie gebeten habe, abends einen bestimmten Waldweg zu meiden. Am selben Abend wurde auf diesem Weg eine Frau vergewaltigt. An einem anderen Tag habe V. seiner Freundin von deren Appartement im Studentenwohnheim aus weibliche Polizei- „Lockvögel“ gezeigt, die im Uni- Gelände eingesetzt waren. An diesem Tag, habe er dazu erklärt, würde sowieso nichts passieren.

Die Freundin hatte Ursula E. auch von einem schwarzen Dreieckstuch und einer Pistole erzählt, Gegenstände, die ihrem Freund, also V. junior, gehörten. Ein Schutzpolizist nahm Ursula E.s Aussage zu Protokoll und gab den Bericht seinem Vorgesetzten. Dieser erkannte sofort die Sprengkraft der Niederschrift und rief einen alten Kollegen an, den damaligen Leiter des Einbruchskommissariats der Bochumer Kripo. Damit erwischte er ausgerechnet einen Duzfreund von V. senior. Der Einbruchsexperte nahm die Sache in die Hand, ließ Ursula E. ein zweites Mal aussagen, notierte und nahm das Protokoll des Schutzpolizisten an sich. Es blieb seitdem verschwunden.

Weder der ermittelnde Hauptkommissar bei der Bochumer „Sitte“ erfuhr von dem Verdacht gegen den Sohn seines Chefs, noch die Münsteraner Ermittlerin Schramm. Nach weiteren neun brutalen Vergewaltigungen in Bochum und Münster im Jahr 1982 setzte die Münsteraner Kripo eine Sonderkommission ein, geleitet von Gudrun Schramm. Monatelang befaßte Schramm bis zu fünfzig Beamte mit der Überwachung möglicher Tatorte. Zuvor war sie nach Bochum gefahren und hatte dem dortigen Ermittlungsleiter, V. senior, detailliert ihre Maßnahmen beschrieben. Der Bochumer steuerte nichts zum Fahndungsprogramm bei, „jammerte nur herum“, wie Schramm sich später erinnerte, daß der Täter nicht zu fassen sei. Nach ihrem Report in Bochum tauchte der Vergewaltiger nicht mehr auf. Die Münsteraner Sonderkommission löste sich nach neun Monaten auf.

Vater V., der Chefermittler in Bochum, habe mit Hilfe anderer Beamter nicht nur die Ermittlungen gegen seinen Sohn in Bochum torpediert und die Münsteraner Sonderkommission ins Leere laufen lassen, schreibt der Münsteraner Rechtsanwalt von Heike M. in seiner Anzeige. Darüber hinaus habe der Vater dem verdächtigen Sohn Informationen über die Ermittlungen zukommen lassen. Dies habe V. junior bei seiner polizeilichen Vernehmung 1986 selbst angegeben.

1984 waren die Ermittlungen in der Vergewaltigungsserie durch einen Zufall und die Beharrlichkeit zweier Polizisten aus Hamm und Bochum erneut in Gang gekommen. Die beiden wollten den Verdacht der Strafvereitelung im Amt aufgeklärt wissen. Der Bochumer Oberstaatsanwalt übertrug die Ermittlungen „wegen möglicher Interessenkollision“ der Dortmunder Kripo. Diese zog ein deutliches Fazit: „Die Ermittlungen der Polizei“ hätten sich „nie gegen den von der Zeugin E. Beschuldigten... gerichtet. (Er) ist der Sohn des EKHK V., dem Dienststellenleiter des für die Bearbeitung von Sittendelikten zuständigen Kommissariats in Bochum.“ Auch führte die Dortmunder Kripo endlich eine Gegenüberstellung durch. Heike M. erkannte dabei nach eigener Aussage V. junior mit absoluter Sicherheit als den Mann, der sie vergewaltigt hatte.

Trotz der deutlichen Hinweise der Dortmunder Kripo auf die fragwürdige Ermittlungsweise ihrer Bochumer Kollegen stellte die Bochumer Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen V. junior am 25.11.1987 ein. Erneute Ermittlungen wegen Strafvereitelung im Amt, wiederum von einem Bochumer Polizisten gegen die Kollegen vom Fall V. junior ins Rollen gebracht, wurden im Mai 1991 eingestellt.

Die nun fast dreißigjährige Heike M. aus Münster wartet noch immer auf einen Prozeß gegen den Mann, der sie als Sechzehnjährige brutal vergewaltigte, und gegen die Männer in Uniform, die die Spuren zum Haupttatverdächtigen verwischt haben. Drei weitere Frauen haben sich beim 'Stern‘-Redakteur Werner Schmitz gemeldet. Eine will, wie Heike M., Anzeige erstatten. Die Vertuscher von Bochum, Polizeibeamte und Staatsanwälte, sind weiter im Dienst. V. senior, einst Kommissariatsleiter und verdächtig, alle Ermittlungen gegen seinen Sohn verhindert zu haben, genießt seine Pension. V. junior, verdächtig, eine Serie grausamer Vergewaltigungen begangen zu haben, braucht die Polizei nicht zu fürchten und lebt nach wie vor im Ruhrgebiet.

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