„Wir sind geflohen, um nicht töten zu müssen“

Jugoslawische Deserteure aus verschiedenen Republiken klagen Menschenrechtsverletzungen an  ■ Von Heide Platen

Frankfurt (taz) — Die 70jährige Frau A. bricht in Tränen aus. Sie ist erst seit wenigen Tagen in Deutschland. Die kroatische „Oma“ ist aus ihrem Dorf in der Vojvodina geflohen, als Einheiten der Bundesarmee ausgewechselt wurden. Vorher seien sie mit den Soldaten und auch mit der serbischen Bevölkerung gut ausgekommen. Die hätten sie regelrecht beschützt. Aber dann sei das alles vorbei gewesen. Die Männer, auch ihr Sohn, seien mit Eisenstangen geschlagen, drei Kinder einer Nachbarfamilie seien für Schießübungen mißbraucht worden.

Sie ist nur eine aus den vielen Bevölkerungsgruppen, die gestern zu einer ersten gemeinsamen Pressekonferenz der „Gesellschaft für bedrohte Völker“ in Frankfurt gekommen sind. Milan Stern zum Beispiel ist Jude aus Bosnien-Herzogowina, Gabriela Streibl ungarische Donauschwäbin aus der Vojvodina, der vermummte Deserteur B. ein moslemischer Bosnier. Hinter Schals und Sonnenbrillen verbergen sich ein Dutzend junge Männer, die in den letzten Wochen aus der Armee geflohen sind. Ihnen allen droht in ihrer Heimat die Todesstrafe.

Ein 21jähriger Albaner, der vor sechs Wochen zusammen mit 25 anderen desertierte, berichtet von seinem Einsatz gegen ein kroatisches Dorf. Sie seien gezwungen worden, wild um sich zu schießen. Er habe gesehen, wie die Cetniks einen verwundeten alten Mann getötet hätten. Die Stimme versagt ihm fast, er berichtet, daß dann ein Schwein dessen Eingeweide gefressen habe.

Milan Stern, jüdischer Abstammung, wehrt sich heftig dagegen, daß „seine Leute“ von den Serben zur Propaganda gegen die Kroaten benutzt werden. Sie seien nicht unterdrückt oder bedroht. Aber sie würden „in den Konflikt hineingezogen“, indem die Generäle „die Idee von Großserbien“ immer wieder mit dem Verweis auf die jüdischen Opfer der Faschisten koppelten: „Das finde ich schlimm. Denn das sagen sie immer zur Rechtfertigung, wenn Dubrovnik brennt.“

Der Schriftsteller und Journalist Rajko Djuric ist nach einem Einbruch in seine Wohnung, einer Vorladung zur Polizei, Morddrohungen und der Zustellung eines Einberufungsbefehls geflohen. Der Vorsitzende des Weltkongresses der Sinti und Roma findet für die Situation seiner eigenen Bevölkerungsgruppe kaum noch Worte: „Es ist die Hölle!“ Gabriela Streibl faßt für sie alle zusammen: „Wir sind nicht nur geflohen, um unser eigenes Leben zu retten, sondern auch, um nicht töten zu müssen.“