Die toten Cordhosen

■ Eine unglückliche Mischung: Ignoranz und das Hörspiel im Radio

An nebligen Winterabenden trifft sich eine kleine, verschworene Gemeinschaft im Hinterzimmer der Galerie am Chamissoplatz. In der Enge des dunklen Raums herrschen die männlichen Breitcordhosen mittleren Alters vor, Damen sind rar. Als die Gesellschaft endlich einen Kreis gebildet hat, spricht aus dessen Zentrum die Maschine — ein Tonbandgerät, Herz der Höspielwerkstatt 91.

Initiiert wurde dieses seit 1976 existierende Ritual von der AG der Hörspiel-Autoren in der Neuen Gesellschaft für Literatur, die sich zum Ziel gesetzt hat, den Austausch zwischen den Produzenten und Rezipienten ihrer im Kontext der allgemeinen Reizüberflutung fast schon anachronistisch anmutenden Kunstform zu intensivieren. In diesem Jahr schmückt das Schlagort »Wahn- Sinn« die bevorstehenden Hörspiele aus Ost und West. Eine nicht ganz sinnig erscheinende Auswahl (von Günter Eichs Träume bis zur Hawthorne-Variation Wakefield von Andreas Knaup) läßt vermuten, daß man sich auf einem diskursiven Allgemeinplatz zu tummeln gedenkt. So war der Bezug zum Thema des Forums am Eröffnungsbend denn auch weniger durch Eichs Stück als durch den Verlauf des Gesprächs gegeben. Am 1951 geschriebenen, 1981 beim Rundfunk DDR in Anspielung auf die damalige Lebenssituation inszenierten Text hatte die hörende Gemeinde ein vornehmlich historisches Interesse. Konsequenterweise gestaltete sich das anschließende »Gespräch« als Aufarbeitung persönlicher Biographien und interner Querelen im west-östlichen öffentlich- rechtlichen Wesen. An die Ränder des cordhosendominierten Diskurses verbannt, verabschiedete sich die vielbeschworene interessierte Öffentlichkeit sehr rasch aus dem Hinterzimmer.

Auch am folgenden Abend wurden zwei interessante Produktionen aus dem Funkhaus in der Nalepastraße – die Inszenierung von Volker Brauns Iphigenie in Freiheit und Andrea Czesienskis Amok — Monolog eines Manövrierunfähigen von Selbstdarstellungszwängen und eigen-sinnigen Interpretationsversuchen anwesender Profis begleitet. Allein die Diskussion mit Volker Braun, dessen von aktuellen Anspielungen durchsetzter Text in einer sprachlich und musikalisch packenden Inszenierung dem klassischen Stoff eine brisante Modernität verleihen konnte, ließ etwas von der möglichen Faszination der Hörspielarbeit erahnen.

Als Amoklauf gestaltete sich dann die Auseinandersetzung um die Produktion von Andrea Czesienskis Monolog eines verzweifelten DDR- Grenzers, der seinen behaglich eingerichteten Wachturm als letzten eigenen Ort gegenüber einer sich brutal verändernden Realität mit gewaltsamen Mitteln verteidigen will. In Abwesenheit der Autorin bot die Inszenierung Anlaß zu irren Spekulationen, vornehmlich über die psychologische und politisches Verfassung der Schreiberin, und zu der Behauptung, daß das Geschlechtswesen Frau eine vorgeblich männliche Erfahrung — die Knarre, die Pflicht, die geschlechtsspezifische Verzweiflung — gar nicht umsetzen könne (dürfe?). An die Identifikation von Volker Braun mit der jungen Iphigenie hatte hingegen keiner der sprechenden Herren einen Gedanken verschwendet.

Auch jenseits der männerweltbewegenden Hänschen-und-Gretchen- Frage ließ das Reflexionsniveau stellenweise am intellektuellen Potential und der Kreativität der Sprachbearbeiter im öffentlichen Dienst zweifeln. Das Desinteresse gegenüber dem Publikum hingegen ist sicher. Auf kritisches Nachfragen hin ließ einer der Veranstalter seiner Ignoranz freien Lauf: Man wolle sich lieber mit den Kollegen fachgerecht auseinandersetzen als auf diskussionswillige HörerInnen einzugehen. Die Cordhosen wollen also unter sich bleiben. Es bleibt zu fragen, ob das Ritual im Hinterzimmer dem Stiefkind Hörspiel dienlich sein kann. Annette Schlichter

Bis zum Sonntag lockt die Werkstatt den harten Kern der Interessierten noch mit zwei vielversprechenden Ankündigungen: Sa., 30.11., Kopfzusammenschnürungsmachine von Wolfgang Röhrer nach Daniel Paul Schreber, am So., 1.12., Wakefield von Andreas Knaup nach einem Motiv von Nathaniel Hawthorne. Jeweils 20 Uhr in der Galerie am Chamissoplatz.