Haase-Auftritt war eine »ziemliche Katastrophe«

■ SPD-Vize Wolfgang Thierse: Bonn-Lobby will Regierungsumzug verhindern/ Senat kämpft nicht entschlossen genug für Berlin

Bonn/Berlin. Der Senat kämpfe nicht entschlossen genug für den Umzug von Bundesregierung und Bundestag nach Berlin. Diesen Vorwurf hat jetzt der stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Wolfgang Thierse erhoben. In der Debatte um die Details der Hauptstadtplanung und die Terminplanung für den Umzug sei der »Druck aus Bonn viel stärker als aus Berlin«, sagte der aus dem Ostteil von Berlin stammende SPD- Politiker.

Mit ständig neuen Bedenken versuchten die Bonner, den Umzug hinauszuzögern und zu behindern. Ein Mittel, um den Bundestagsbeschluß für Berlin als Regierungssitz zu unterlaufen, sei die Forderung nach einer perfektionistischen Planung und die strikte Ablehnung von Zwischenlösungen. Es wäre deshalb »sinnvoll«, wenn der Senat »ein einigermaßen überzeugendes Konzept« vorlegen könnte, wie Bundestag und Parlament schon in wenigen Jahren in Berlin funktionieren könnten.

Vor allem Verkehrssenator Herwig Haase habe die Bonner Abgeordneten und Beamten bisher nicht überzeugen können, kritisierte Thierse. Ein Auftritt, den Haase kürzlich in Bonn gehabt habe, sei eine »ziemliche Katastrophe« gewesen. Bisher hätten lediglich Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) und Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer (CDU) vor den Bonner Abgeordneten und Beamten eine gute Vorstellung hinterlassen, bestätigte auch Thierses Fraktionskollege Peter Conradi (SPD), der der Baukommission des Bundestages angehört. »Ich glaube nicht, daß wir nach Berlin umziehen«, so drastisch formulierte Thierse jetzt seine Befürchtungen.

Ein Sprecher des Bundestages wehrte sich gegen diese Vorwürfe. »Grundsätzlich wird an dem Bundestagsbeschluß nicht gerüttelt«, versicherte er. Gleichzeitig verwies er jedoch auf einen Brief, den Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) dieser Tage an die Abgeordneten gesandt habe. Danach seien eine Reihe von Verwaltungsgebäuden in der Umgebung des Reichstages vorerst nicht, wie vom Senat behauptet, für den Bundestag nutzbar. Einsprüche von Alteigentümern und bestehende Mietverträge verhinderten einen raschen Umbau.

Der Waigel-Brief stieß gestern im Senat auf helle Empörung. Bausenator Nagel warf dem Finanzminister »Stimmungsmache gegen unsere Stadt« vor. In Wahrheit gebe es in einer ganzen Reihe von Berliner Gebäuden, die von der Bundesregierung genutzt würden, »erhebliche Leerstände von Büroflächen«. Staatssekretär Wolfgang Branoner von der Stadtentwicklungsverwaltung wies auch die Thierse-Kritik zurück. »Wir haben Vorschläge gemacht«, sagte Branoner zu der Forderung, der Senat solle ein eigenes Konzept entwickeln. Während im Bundestag selbst Berlin-Freunde wie Conradi mittlerweile nicht mehr glauben, daß der Bundestag schon in vier Jahren in Berlin arbeitsfähig sein könnte, ließ sich Branoner gestern diese Hoffnung nicht nehmen. Wenn die Bundesregierung rasch eine private Gesellschaft mit dem Umzugsmanagement beauftrage, wäre die Zeit »ausreichend«, meinte der Staatssekretär. hmt