Spartenteilung

■ Noch einmal: Eschbergs neues Schauspiel in Frankfurt

Nach acht Eröffnungen endet die letzte und neunte Eröffnung des Frankfurter Schauspiels mit der Darstellung einer Katastrophe. William Forsythe, Frankfurts Ballettmeister, auf einem quadratischen Sockel ruhend, auf der Opernbühne drapiert von Schauspieler Jürgen Holtz, zurechtgerückt von Oda Thormeyer, eingeleuchtet von Johannes Schütz, inszeniert von Jürgen Gosch: So steht Forsythe mit geneigtem Haupte, das Licht dämmert. Sein Kopf leuchtet aus der Dunkelheit. Becketts Einakter, die Katastrophe, schart namhafte Schauspieler, Bühnenbildner und Regisseure um Forsythe. Das Schauspiel inszeniert den Ballettmeister auf der Bühne der städtischen Oper — als lebendes Kunstwerk: jenes Schauspiel des Herrn Peter Eschberg, der sich ausbedungen hat, die Theatersparten streng zu trennen, um seine gegen anderer Leute Machthabe zu behaupten. Das Stück, 1983 dem inhaftierten Vaclav Havel gewidmet, ist Theater des Theaters. Auf der Opernbühne steht der Ballettmeister in den Fängen des Schauspiels. Wir kennen wenige so überzeugend spartenübergreifende Veranstaltungen.

Alle Sparten sind seit Eschberg getrennt. So konnten die Bühnenarbeiter vom Schauspiel zum Finale der Eschberg-Eröffnungen ihren Kollegen von der Oper nicht beispringen, obwohl diese mit 50 Prozent Krankmeldungen sich selbst krankschufteten. Die Autonomie der Sparten muß gewahrt werden. Obwohl künstlerisch gerade das Gegenteil en vogue ist, obwohl allerorten die konventionelle Spartenteilung unter Jubel auseinanderbricht. Aber wenn in Frankfurt ein Tänzer mit einer Sängerin im Schauspiel was proben will, heißt es, es geht nur dann, wenn dies Intendant A mit Intendant B und Intendant C mit wiederum deren Verwaltungsdirektoren und anderen Betriebsbüros in Kleinstarbeit ausklüngeln wollten.

Nur dann ist es möglich, daß eine berühmte Kostümbildnerin, Kazuko Watanabe, zur Regisseurin wird und ein frappierender Autor, Friedrich Karl Praetorius, die Manieriertheit seines Gesichtsausdrucks im Foyer des hochpolierten Arabella Grand Hotels hinter der Maske des Schauspielers auskotzt. Wobei der Spielort Hotelhalle allerdings ein Gastgeschenk Eschbergs an sein Ensemble ist. Denn offenbar hat dieses Schauspielensemble, wie auch andernorts, keinen sehnlicheren Wunsch, als sich endlich wieder normal, wie eine Theatergruppe benehmen zu dürfen — im En-suite-Betrieb oder im Solo auf dem Uni-Campus.

Es ist schon bemerkenswert, wie eine millionenteure künstliche Trennung des Theaters in Sparten so kostbare Schätze zusammenbringt wie Beckett, Ballett und Bochum (von wo Johannes Schütz und Jürgen Gosch anreisten). Ein Phänomen, gegen das sich der Presserummel um die Eröffnung des Frankfurter Schauspiels nur kleinlich ausnimmt. Da wurde heftig moniert, außerhalb des in Renovierung befindlichen Schauspielhauses habe man nur Kleinkunst gezeigt, wäre man auf Bauernfang in der Chemiefabrik Hoechst, im Arabella Grand Hotel oder in einer Bootshauskneipe gewesen. Wer zu Beginn abwinkte, das Frankfurter Schauspiel wolle nur Liebkindl machen bei den Theatermüden, Touristen oder Trinkern, sah im Resultat doch immerhin Vorort-Theater als prima Geste, Gastspiel und Giveaway, ein befreites Theater, von dem alle freien Theatergruppen sich eine Scheibe abschneiden könnten, so simpel waren die meisten Produktionen.

Im Foyer gab es Gummi-Mozzarella und Fettschinken, der Toast riß hier und da eine künstliche Zahnreihe heraus. Beiseite erfuhr ich, daß eine freie Gruppe die ersehnten 20.000 Mark bewilligt bekommen hat, um Tschechow zu spielen. So sind die Freien, wollen sein wie das Stadttheater. Warum tauschen die nicht? „Weil“, so ein Verwaltungsdirektor, „die nicht zum Stil des Hauses passen.“

Links von mir fragt Intendant A den Intendanten B: „Du, kannst du mir mal im Juni dein Schauspielhaus borgen, nur mal für ein paar Tage. Kriegste auch mal mein Publikum in dein Theater.“ „Du“, sagt der B., „kein Problem, muß ich aber erst mal meinen Verwaltungsdirektor fragen, wegen dem Wertausgleich. Du verstehst doch, so ein lumpiges Publikum gegen meine Abonnenten.“ „Verstehe“, sagt der andere, „aber mein Gastspiel bringt mehr Reputation, befindet sich auf internationalem Niveau.“ „Dann“, sagt der spartengeteilte Intendant B., „erhöht sich die Miete natürlich auf das Doppelte“. Und hebt das Glas. Arnd Wesemann