„König“ des Waffenhandels

Wegwerfwaffen und die Flaute im „privaten Sektor“ während des Golfkriegs: Beim Amerikaner Sam Cummings in Manchester  ■ Von Caspar Henderson

Der Ort ist schon unwahrscheinlich genug, aber der Mann selbst steht ihm in nichts nach. Sam Cummings hält hof in einem alten Speicher aus Backstein, neben den sich eine Kirche drängt — beide Gebäude die kläglichen Reste viktorianischer Blüte von Manchester. Der Direktor von „Interarms“, des angeblich größten privaten Waffenhandelsunternehmens der Welt, ist der Lieblingswaffenhändler von jedermann. Der redegewandte — und manche sagen sympathische — Amerikaner mittleren Alters ist in der dunklen Halbwelt seines Gewerbes eine Ausnahme.

Sam Cummings ist immer bereit zu reden. In letzter Zeit hat er Anthony Sampson für sein Buch The Arms Bazaar Rede und Antwort gestanden und ist außerdem in einer Panorama-Sendung der BBC aufgetreten. Er läßt uns einen Blick in die notorisch heimliche Welt des Waffenhandels tun — zumindest scheint es so auf den ersten Blick.

In einem langen — und zeitweilig fast geschwätzigen — Interview mit 'Index‘ sprach er über seine Anfänge bei der CIA und dem Beginn des Geschäfts durch den Kauf von Waffen, die aus dem Koreakrieg übriggeblieben waren, über die Rolle der Regierungen gegenüber dem privaten Sektor, den Mißerfolg von Initiativen zur Kontrolle des Waffenhandels in der Vergangenheit und ihren sicheren Fehlschlag auch in der Zukunft; er sprach über die Folgen des Endes des Kalten Krieges und des Golfkrieges und über eine Welt, die überschwemmt ist mit den Resten obsoleter Waffensysteme und überflüssig gewordener Armeen, und am Ende sprach er auch noch über den traurigen Niedergang des Geschäftes mit Sportgewehren...

Aber — und das gibt er bereitwillig zu — sein Geschäft macht er hauptsächlich mit militärischen Waffen, und sein Lager besteht fast ausschließlich aus Kleinwaffen und leichtem Artilleriegerät. Sein Handel hängt ab von dem, was nach dem Ende von Kriegen an überflüssigen Waffen herumliegt und was Regierungen aus ihren Beständen ausgemustert haben. Während er jedoch über die obsessive Geheimniskrämerei der Regierungsgeschäfte im Waffenhandel viel zu sagen hatte, war er über einiges, was seine eigene Rolle betraf, eher schweigsam: Seine Kunden blieben ebenso anonym wie Fragen nach Lizenzen, Endbenutzer- Zertifikaten und ähnlichem unbeantwortet, von Preisen und Profiten gar nicht erst zu reden...

Zunächst sprach Sam Cummings über die Rolle der Regierungen im Waffenhandel. Verglichen mit ihnen, so behauptete er, sei der private Sektor eine reine Lapalie — und das sei für die Regierungen Grund geFortsetzung nächste Seite

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nug, vor ihren Wählern so viel wie irgend möglich zu verbergen.

„Die Regierungen sind der Auffassung, daß die Öffentlichkeit kein Recht darauf hat, auch nur das Geringste über den Waffenhandel zu erfahren. Im Hinblick auf ihre eigenen Aktivitäten, die 99 Prozent des gesamten Geschäfts ausmachen, geben sie so wenig Informationen wie nur möglich. Wir hier sind der Ansicht, daß, wenn sich die Regierungen an ihre eigenen Gesetze über Waffenexporte und -importe halten würden, der Weltfrieden vor der Tür stünde. Aber sie tun es nicht — und werden es wohl auch nie tun. Sie werden mir vielleicht sagen wollen, daß es Teil des Geschäftes sei, nur im Flüsterton von ihm zu sprechen, es geheimzuhalten und so weiter. Aber wir halten das eher für Feigheit, die nicht einmal einem sinnvollen Zweck dient. Durch unser Geschäft, das sich gegenüber dem der Regierung wie ein Mikrokosmos verhält, wissen wir sowieso über alles Bescheid.

Der private Sektor ist völlig unwichtig, denn das wirkliche Geschäft, geheim und offen, wird von den Regierungen gemacht. Man hört darüber Wochen, Monate oder erst Jahre später, und dann kann ohnehin keiner mehr etwas daran ändern. So ist das eben. Untereinander sagen wir uns oft, daß wir eigentlich keine Konkurrenten haben — außer den Regierungen. Und die sind unter anderem deshalb unschlagbar, weil sie Geschenke machen. Sie geben Militärgerät einfach so ab. Kein privates Unternehmen kann mit Geschenken aufwarten. Aber so läuft es nun mal.“

Cummings gibt zu, daß es in der Vergangenheit für gewitzte Geschäftsleute Möglichkeiten der Kooperation mit Regierungen gegeben hat, beispielsweise durch Aufkauf von Überschußgerät: „In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg war unser Laden, ohne Übertreibung, der größte Aufkäufer der Welt: Unsere Bestände waren oft— und sind es statistisch gesehen bis heute — größer als die der meisten Armeen der Welt. Das heißt: in leichten Waffen, nicht, was Artillerie oder Panzerfahrzeuge betrifft. Aber das hat sich in den letzten 40 Jahren geändert, weil die Regierungen das Geschäft mehr und mehr selbst übernommen haben. Ich sage nicht, daß sie keinen Erfolg hatten oder es aus schmutzigen Motiven gemacht hätten; es war offenbar so, daß sie meinten, sie könnten es besser machen als der private Handel. Das ist meiner Meinung nach nicht erwiesen. Aber weder ich noch Sie noch irgend jemand anderes ist danach gefragt worden. Wenn Sie zu uns kommen und uns ausfragen wollen, sind wir gerne bereit zu reden. Aber durch uns kriegen Sie nicht heraus, was wirklich läuft, denn dort, wo man Bescheid weiß, redet man nicht, und das ist in Whitehall oder im Pentagon. Falls sie doch einmal reden, kriegt man viel Doppelzüngiges zu hören, Platitüden: ,Wir müssen die Freiheit verteidigen‘ und so weiter, was immer das bedeuten soll...“

Das Gegenstück zu Präsident Bushs Neuer Weltordnung und Folge des weiterhin ungelösten Konflikts im Nahen Osten ist ein Boom höchst lukrativer Waffenverkäufe in eben diese Region gewesen. Cummings ist darüber keineswegs erstaunt. Seiner Meinung nach liegt dort, wie immer, der Schlüssel zur Außenpolitik der exportierenden Länder, die Aufrechterhaltung ihres kommerziellen und politischen Interesses. Dies sei im übrigen einer der Gründe — wenn auch bei weitem nicht der einzige —, warum die neue, so hochherzig klingende Initiative eines Handelskontrollabkommens ebenso zum Mißerfolg verurteilt sei wie alle Initiativen zuvor. Sein Kommentar zu Präsident Carters Bemühungen in den siebziger Jahren: „Vollkommen ineffektiv. Schon das allergrundlegendste Eigeninteresse stand dagegen.“

„Das ist bedauerlich, aber es ist die Realität der Welt, in der wir leben, und, das gebe ich zu, im Falle des Waffenhandels die Realität der Welt vom Beginn aller Zeiten an. Carter..., man muß ihm in der Theorie ja zustimmen, aber praktisch sind seine Vorschläge unrealistisch. Zu Beginn der Carter-Regierung war ich Teilnehmer einer Studiengruppe, die sich aus Vertretern der Rüstungsindustrie und der Gewerkschaften zusammensetzte und herausfinden sollte, was seine Politik für die heimische Rüstungsindustrie, Arbeitsplätze usw. bedeuten könnte. Ich brachte die Sprache darauf, daß niemand vom Verteidigungsministerium oder der CIA anwesend war. Und nur diese Leute zählen. Nicht wir. Nicht die Gewerkschaften und Arbeitersyndikate. Wer die heimlichen Waffenbewegungen kontrolliert, das sind die Leute in der Regierung. Aber darüber wollte und darüber konnte natürlich auch keiner reden. Also wurde aus den Vorschlägen nichts.“

Ähnlich zynisch äußerte sich Cummings auch über die neuesten Vorschläge zur „Transparenz“ des Handels im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. „Das hört sich natürlich wunderschön an. Jeder ist dafür. Aber es wird ebensowenig funktionieren wie alle anderen Versuche der letzten paar hundert Jahre. Sie widersprechen dem simpelsten Eigeninteresse. Ich bin ungerne pessimistisch, und persönlich bin ich eigentlich auch kein Pessimist. Aber man muß die Realitäten anerkennen. Man wird keinen Staat dazu bringen, sein Eigeninteresse aufzugeben und wirklich zu tun, was richtig ist. Es läuft immer wieder auf das gleiche hinaus: Eigeninteresse — und keiner wird daran rütteln können.“

Ein anderes Fundament des Waffenhandels, so betonte er und kam damit auf ein weiteres Lieblingsthema, sei die menschliche Dummheit. „Der Waffenhandel gründet sich auf der menschlichen Dummheit, deren Tiefen keiner je ausloten wird, und deshalb wird auch der Handel ewig weitergehen.“ Zur Illustration seiner These zitierte er ein Beispiel jüngeren Datums aus Osteuropa. Er demonstrierte damit auch seine These, daß in der Welt des privaten Waffenhandels „jeder jeden kennt“.

„Die privaten Waffenhändler kennen sich alle, und in gewissem Maße kennen wir auch die Regierungsleute. Letzten Herbst war ich das erste Mal in der Tschechoslowakei und besuchte all die Fabriken, die bis dahin Off-limits gewesen sind. Ich kenne den Direktor der Fabrik für leichte Waffen in Brno. Wir gingen in das Chefzimmer, das vermutlich seit Vorkriegszeiten das gleiche geblieben ist, wie man am abgewetzten Teppich sehen kann. Und er sagte zur mir: ,Mr. Cummings, wir sind, zumindest kommerziell gesehen, in den letzten 40 Jahren Feinde gewesen, aber ab jetzt sind wir Freunde.‘ Dieser Mann ist derselbe Mann, der vorher da war, und er sagte, er hoffe, wir würden als Freunde ebenso effektiv sein, wie wir es als Feinde gewesen sind. Ich sagte: ,Gut, Herr Direktor, da habe ich nichts dagegen, wir werden sehen, was dabei herauskommt.‘ — Wirklich, der Waffenhandel ist eine Frage der menschlichen Eitelkeit und Dummheit, das zeigt einem jede Zeitungslektüre.“

Japans Unterstützung für die zur Zeit laufende Initiative des Sicherheitsrates wischte Cummings beiseite mit der Bemerkung: „Klar, die exportieren ja auch nicht.“ Ebensowenig überzeugte ihn die Vorstellung, daß wie Japan auch andere Nationen vielleicht begreifen würden, daß es ihnen ohne eine heimische Rüstungsindustrie weit besser gehen könnte.

„Fast alle Länder der Welt denken so: Sie müssen eine eigene Waffenfabrik haben. Seit Jahren schon versuchen wir, sie vom Gegenteil zu überzeugen, obwohl wir sie damit beliefern können. Wir argumentieren ungefähr so: ,Mit den größten Produzenten könnt ihr im Sinne des Gesamtmarktes sowieso nicht konkurrieren. Das ist einfach zu teuer. Ihr braucht keine Rüstungsindustrie. Wenn es Krieg gibt, ist es sowieso zu spät, denn bis ihr die Produktion auf Kriegslevel hochgeschraubt habt, ist der Krieg lange schon verloren oder gewonnen. In beiden Fällen braucht ihr die Fabrik nicht. Ihr solltet euch mit Waffen versorgen und immer genug für eure Verteidigungsbereitschaft dahaben. Man muß dann Waffen kaufen, wenn man sie sich leisten kann, und immer vernünftig erneuern und an ihnen ausbilden; und eben immer genug für die Verteidigung bereithalten.‘ Aber sie hören nicht zu. Sie werden das überall finden: Ob in einer hochindustrialisierten, netten kleinen Nation wie zum Beispiel der Schweiz oder im nicht so netten und nicht so hochindustrialisierten Sudan: Sie brauchen es nicht, aber sie sind davon überzeugt, einfach aus Prestigegründen, eingebildeten oder tatsächlich wirksamen.“

Über das Ende des Kalten Krieges und die Folgen des Golfkrieges hatte Sam Cummings einiges Überraschendes zu sagen. Für Leute wie ihn war das alles nur schlecht, behauptete er — und entwickelte im Folgenden eine neue Idee, die der Wegwerfarmee. „Merkwürdigerweise hatte der Golfkrieg nicht die geringste positive Wirkung auf unser Geschäft. Wir haben für nicht einen Dollar mehr verkauft. Offenbar gab es genug Material in situ für diesen Krieg. Und außerdem haben die Amerikaner ihre Alliierten mit allem, was die sich nur wünschen konnten, aus eigenen Beständen versorgt. Der Krieg war dann derart schnell vorbei, daß keine Nachbestellungen mehr erfolgten. Zwei Tage vor Waffenstillstand kriegten wir einen Anruf von einem arabischen Großproduzenten bzw. Kriegslieferanten. Der erbat eine Liste von ,allem, was schießen kann‘. Wir faxten ihm die Liste hin, und dann war der Krieg schon zu Ende.“ Und, so sagte er, seitdem hat sich auch nichts mehr getan, „nichts, gar nichts“. Das gehe allen Händlern so, alle seien in dieser Situation.

„Wie die Lage bei kompliziertem Gerät ist, weiß ich nicht. Aber beim leichten Material rührt sich gar nichts. Es gibt einen solch riesigen Überfluß auf diesem Gebiet, vor allem aus Osteuropa und auch China, daß ich mir einen engen Markt hierin für ziemlich lange Zeit nicht vorstellen kann. Wie Sie wissen, wird da einiges reduziert und eingespart, bis rauf zu Panzern und Kampfflugzeugen, nagelneues Zeug. Und heute lese ich in der Zeitung, daß die britische Regierung gerade wieder 150 Panzer Marke Challenger neu bestellt hat. Das ist ja, wie man sagt, ein sehr guter Panzer — aber ich frage Sie: Warum kaufen sie nicht den T-72 von den Deutschen, die Hunderte davon übrig haben und für 'n Appel und 'n Ei losschlagen? Der Panzer ist sehr gut und wird sowieso nur verramscht. Zugegeben, er ist nicht so gut wie der Challenger, aber das ist egal. Man hätte das erste Mal in der Geschichte einen Wegwerfpanzer: Man benutzt ihn, solange noch Benzin drin ist, und läßt ihn dann stehen. Das wäre immer noch billiger als vom Geld des britischen Steuerzahlers neue Challenger für 15 Millionen Mark das Stück zu kaufen. Aber keiner denkt so — außer den alten Junkies bei ,Interarms‘. Ich würde dasselbe mit einer Kalaschnikow machen: kaufen und wegschmeißen, sobald die Munition ausgeht. Die Ausbildung an einer neuen Knarre, das kostet doch nichts. Ein Soldat kann das eine automatische Gewehr so gut wie das andere bedienen, nach fünf Minuten weiß er Bescheid. Damit hätte man das erste Mal in der Geschichte ein ökonomisches Militär. Aber sie lassen sich davon nicht überzeugen.

Der private Sektor hat einige Probleme, zum Beispiel werden raketenartige Waffen, selbst die kleinen, grundsätzlich nur im Auftrag von Regierungen produziert. Deshalb haben wir darüber auch keine Übersicht. Die Regierungen sind offenbar der Ansicht, daß sie damit besser umgehen können. Die britischen Verkäufe in diesem Feld finden also von Whitehall aus statt, die amerikanischen vom Pentagon aus usw. Auch die Russen haben da gutes Material zu bieten, der Westen sehr gutes — aber leider kriegt der private Sektor davon nichts zu sehen.“

Schließlich kam Sam Cummings auch auf den Vergleich zwischen Handel von Regierung zu Regierung und Handel zu sprechen, an denen der private Sektor beteiligt ist. Er vergaß dabei jedoch zu erwähnen, daß die meisten Kriege seit 1945 mit leichten Waffen geführt worden sind, d.h. mit dem Gerät, bei dessen Im- und Export der private Sektor kräftig absahnt. Trotz aller Dementis der westlichen Regierungen hätten sie, so meinte er zum Schluß, eine realistische Einschätzung der Größe von Saddam Husseins Armee gehabt und seien, so sagte er, durchaus nicht Opfer ihres eigenen Geheimhaltungskultes gewesen.

„Ich kann nicht glauben, daß sie keine Ahnung davon hatten, zumindest wußten sie im weitesten Sinne Bescheid. Ich glaube, daß sie Bescheid wußten und nur dachten, daß er sich nicht mucksen würde. Das heißt, sie haben sich da in ihrer eigenen Falle gefangen, aber gewußt haben sie alles. Sie haben ihre riesigen G e h e i m d i e n s t o r g a n i s a t i o n e n schließlich nicht vergeblich. Ich meine übrigens nicht, daß ich zynisch bin. Ich hoffe, ich bin nur einigermaßen realistisch und objektiv. Falls dies alles etwas zynisch klingt, dann ist das vielleicht verständlich. Ich war Geheimdienstoffizier und habe als sehr junger Mensch Dinge gesehen, die nichts mit dem zu tun hatten, was ich in meinen Lehrbüchern gelesen hatte. Aber genauso liefen die Dinge damals ab, und ich habe keinen Grund zu glauben, daß sie heute wesentlich anders funktionieren. Wie ich schon zu Anfang unseres Gespräche sagte: Wenn sich die Regierungen an ihre eigenen Gesetze zum Waffenhandel halten würden, dann stünde der Weltfrieden vor der Tür. Aber keine Angst, das wird schon nicht passieren!“

Casper Henderson, früher Mitarbeiter von 'Index on Censorship‘, arbeitet als freier Journalist in London.