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Eigentümliche Stärke

■ Die allgemeine Schwäche der Politik wirkt sich zugunsten der Kohl-Regierung aus

Eigentümliche Stärke Die allgemeine Schwäche der Politik wirkt sich zugunsten der Kohl-Regierung aus

Gut sieht sie eigentlich nicht aus, die Regierung Kohl. Waigel verschuldet die Republik, Schäuble irritiert in Sachen Asyl, manch wichtige Frage bleibt wegen der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat offen. Und trotzdem hat die Koalition die einwöchige Haushaltsdebatte unangefochten überstanden. Auf unnachahmliche Art weiß der Bundeskanzler klarzustellen, daß er regiert, während die anderen nur opponieren. Wie er so vor uns steht, vor dem Parlament, vor der Fernsehöffentlichkeit — wer glaubt da nicht, daß Kohl die Adenauersche Rekordzeit als deutscher Kanzler überbieten wird. Es ist ihm zuzutrauen, obwohl es doch so leicht ist, lange Listen über die Schwächen, Fehler und Versäumnisse dieser Bundesregierung aufzuschreiben. Sie liefert keine Konzepte für die großen Fragen, weder zur Zukunft der sozialen Sicherungssysteme, zum Armutstreck nach Deutschland, geschweige denn zur ökologischen Krise. Und wo die großen Fragen konkrete Politik verlangen, wird es oft kleinlich, peinlich oder sogar schlimm. Gestümper bei der Pflegeversicherung, Ostdeutschland kahlsaniert, die Westdeutschen betrogen durch die Steuerlüge, manipuliertes Asylrecht. Die Oppositionellen behaupten deshalb gern, die Stärke der Regierung sei eigentlich nur die Schwäche der Opposition.

Aber in der Haushaltsdebatte hat doch die SPD vorgerechnet, wie teuer Waigels Finanzpolitik ist, haben Wolfgang Thierse und Werner Schulz Kohls Kälte gegenüber den Nöten der neuen Bundesländer demaskiert, hat Hans-Ulrich Klose bloßgelegt, daß die Regierung an der Oberfläche bleibt, wo Sinn für die Ursachen gefragt wäre. Immerhin eine Stärke haben die Oppositionsfraktionen bewiesen: Sie haben aufgeführt, was Politik eigentlich gestalten müßte. Ob die SPD das könnte, glaubt allerdings niemand. Daß Völkerwanderung, Öko- Drama und Sinnverlust überhaupt mit den Mitteln herkömmlicher Politik zu bearbeiten sind, gilt zu Recht als unwahrscheinlich.

Erst in dieser allgemeinen Schwäche der Politik entfaltet Kohls Regierung ihre eigentümliche Stärke. Sie macht aus der Not unbewältigter Vergangenheit und unsicherer Zukunft eine Tugend, weil sie die Gegenwart und den nächsten Tag zum Maßstab erklärt. Den Kanzler interessieren nachträgliche Rechnungen nicht, ob Deutschland zu schnell oder zu unsozial vereinigt wurde. Gewinner und Opfer, Kritiker und Befürworter seiner Deutschlandpolitik haben ohnedies gar keine andere Möglichkeit mehr, als sich diesem Faktum Deutschland zu stellen. Für die Stimmung und die nächsten Wahlen zählt, so die Rechnung des Kanzlers, ob die Menschen noch hoffen oder ob sie verzweifeln wollen. Tissy Bruns

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