: IG Farben: Auch Schlangen häuten sich
■ Liquidatoren wollen den Ex-Nazi-Konzern in IG Beteiligungs und Grundbesitz AG umfirmieren
Frankfurt/Main (taz) — Turbulente Szenen auf der gestrigen Hauptversammlung der IG Farbenindustrie AG: Mit dem Zwischenruf „Auch Schlangen häuten sich!“ platze einem der Großaktionäre der Kragen. Die aufmüpfigen Kleinaktionäre hatten gegen die von den Liquidatoren beantragten Satzungsänderungen Stimmung gemacht, die nicht dem Geschäftszweck des in Abwicklung befindlichen Unternehmens entsprächen. Die IG-Farben- Aktien, so ihr Sprecher, hätten schon immer einen „fahlen Beigeschmack“ gehabt. Deshalb müsse die Firma „in absehbarer Zeit endgültig liquidiert werden“.
Doch eine rasche Abwicklung der IG Farben steht nicht auf dem Programm der Liquidatoren Ernst-Joachim Bartels und Günter Vollmann. Die beiden „Vorständler“ legten eine Satzungsänderung vor, die in einer Änderung des Firmennamens gipfelt. Der Schwerpunkt des Unternehmens liege nicht mehr in Bereichen der chemischen Industrie, so Bartels, daher solle die Gesellschaft künftig unter der Bezeichung „IG Beteiligungs- und Grundbesitz-Aktiengesellschaft“ geführt werden. Ein Aktionär titulierte die Umfirmierungsversuche daraufhin als „wundersame Verwandlung der Liquidatoren in Akkumulatoren“.
Tatsächlich hat die Gesellschaft, deren einziger Geschäftszweck die Betreibung der eigenen Elimination ist, bereits im abgelaufenen Jahr Aktienpakete gekauft, Beteiligungen an anderen Unternehmen erworben und Grund- und Hausbesitz im Ausland verkauft. Diesen Einstieg ins Immobilien- und Beteiligungsgeschäft wollten sich die Liquidatoren von den Aktionären absegnen lassen. „Totgesagte leben länger“, hatte ein Vertreter der Schutzgemeinschaft der Aktienbesitzer angemerkt. Da werde „ein weiteres Kapitel der Firmengeschichte aufgeschlagen“ und ein „dynamisches Entwicklungskonzept“ vorgelegt.
Daß die alten Kapitel des IG-Farben-Konzerns gestern im Frankfurter Hof nicht einfach zugeklappt werden konnten, dafür sorgten die Redner des „Bündnisses gegen IG Farben“. Doch als etwa Hans Frankenthal vom Auschwitz-Komitee in bewegenden Worten schilderte, wie seine Familie im IG-Farben-KZ Auschwitz-Monowitz ermordet und er selbst in verschiedenen IG-Farben- Fabriken als Zwangsarbeiter mißbraucht wurde, schäumte die Menge der kleinen und großen Kapitaleigner vor Wut: „Wir können den alten Mist nicht mehr hören“, ereiferten sich knapp 20jährige Aktionäre. Und aus der Ecke der mehrheitlich vor dem Greisenalter stehenden Anteilseigner zischelte es böse in Richtung Rednerpult. Auch Eduard Bernhard vom BBU zog sich den Zorn der versammelten Aktionäre zu, als er die umgehende Auflösung der IG Farben verlangte und die „unglaublichen Sicherheitsvorkehrungen“ währen der Hauptversammlung kritisierte. Das Hotel Frankfurter Hof glich der Justizfestung Stammheim. Aktionäre und Journalisten wurden akribisch abgetastet; Taschen durften nicht in den Saal genommen werden. Vor dem Hotel sicherte eine Hundertschaft der Bereitschaftspolizei die HV der IG Farben, gegen die knapp 100 Demonstranten protestiert hatten: „Aktionäre! An euren Händen klebt Blut!“
Schon immer riefen IG-Aktionärstreffen die Kritiker massiv auf den Plan. Sie kreiden dem „lebenden Leichnam“, der während der Nazizeit das Vernichtungsgas „Zyklon B“ produziert hatte, seine unheilsame Vergangenheit an. Der letzte Versuch einer Gesellschafterversammlung wurde durch die Proteste verhindert.
Daß trotz der Kritik einiger Kleinaktionäre die Anträge der Liquidatoren am späten Nachmittag nach Redaktionsschluß glatt durchgehen würden, daran bestanden bei den Beobachtern keine Zweifel. kpk
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