: Verkehrstote fürs Wirtschaftswachstum
Während auf sächsischen Straßen fast täglich ein Kind stirbt, feilt die Autolobby an neuen Tangenten ■ Aus Dresden Detlef Krell
Als die elfjährige Beatrice die Ampelkreuzung der B172, eine der am meisten befahrenen Straßen Dresdens, betrat, stand sie auf Grün. Plötzlich raste ein Lastwagen auf die Kreuzung und erfaßte das Mädchen. Beatrice starb auf der Straße.
Innerhalb der vergangenen zwei Wochen starben allein auf Dresdner Straßen fünf Kinder. Tempo 80 und mehr ist auf den Straßen der Innenstadt Alltag. 15 Prozent der Unfallverursacher fliehen, und seit Jahresbeginn ließen Autofahrer in dreißig Fällen Sterbende auf der Straße liegen. Doch zu nachhaltigen Protestaktionen gegen die Raserei, wie in Hamburg oder Leipzig, kam es bisher nicht.
Lediglich einige Anwohner der B172 erinnerten den Ordnungsdezernenten daran, daß sie schon längst auf Mängel der Lichtsignalanlage hingewiesen hatten. Die Autolobby hat die Nase vorn, nicht nur auf den Straßen, sondern auch in der öffentlichen Diskussion.
Allein die undurchsichtige Planung der Autobahn zwischen Dresden und Prag bringt zunehmend Bürgerinitiativen, ökologische und kirchliche Kreise sowie Politiker auf Trab. „Autobahn Dresden-Prag“ ist ein Euphemismus: Es geht um ein Verbindungsstück zwischen den Verkehrsräumen von Skandinavien bis zum Balkan. Von täglich 30.000 Fahrzeugen sprechen die Planer; bis zu 60.000 können es nach Hochrechnungen von Experten der Grünen Liga sein. Im „günstigsten“ Fall werden demnach mindestens dreimal so viel Karossen in Bewegung sein wie auf dem Brennerpaß.
Interessant ist, daß ausgerechnet diese umstrittene Autobahn und der aus ökologischer Sicht ebenso katastrophale zweite Brückenschlag zur Insel Rügen als ostdeutsche Projekte in das „Pilotvorhaben“ des Bundesverkehrsministeriums aufgenommen wurden, „Verkehrsprojekte mit privater Finanzierung möglichst bald zu starten“. Schon im Januar soll der Bedarfsplan der Landesregierung Sachsen für Bundesfernstraßen im Verkehrsausschuß des Bundestages diskutiert werden.
Auf einem Forum der Friedrich- Ebert-Stiftung zur Dresden-Prager Autobahn regte der Wiener Verkehrsplaner Hermann Knoflacher an, ein alternatives Verkehrskonzept für den sächsisch-böhmischen Raum zu erarbeiten. Nur wer mehr Verkehr wolle, könne diese Autobahn verantworten. Zehn Jahre habe es gedauert, bis der Brennerpaß wieder staueng gefüllt war; vier Jahre nur bei der Rheintalautobahn. Doch unbeirrt verheißen die Dresdner Planer und die CDU-Mehrheiten in Rathaus und Landtag zwar mit der Autobahn eine Entlastung der innerstädtischen Straßen, doch vorsichtshalber sehen sie auch gleich den vierspurigen Ausbau der B172 vor, eben jener Straße, auf der Beatrice zu Tode kam.
Mit Knoflacher fordern die Grüne Liga, die Schutzgemeinschaft Sächsische Schweiz, die Fraktion Bündnis 90/Grüne Weichen in der deutschen und europäischen Verkehrspolitik, die von der Straße auf die Schiene führen. Die Variantendiskussion führe am Problem vorbei, denn „der einzig akzeptable Kompromiß wäre, die Autobahn nirgends zu bauen“. Doch diese Auffassung teilen nicht alle Gegner jener längst als „Vorzugsvariante“ bezeichneten Trassierung der Dresdner Südhöhen und der Randlagen von Sächsischer Schweiz und Ostererzgebirge. Nicht wenige meinen noch, ganz ohne Highway gehe es nicht, und eine der vom sächsischen Wirtschaftsministerium flugs nachgereichten fünf Linienvarianten wäre „ökologisch verträglicher“.
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