„Eine streitbare Querdenkerin“

■ Irmgard Gaertner, künftige Sozialsenatorin, hat in Hessen einen guten Namen

Irmgard Gaertner, Bremens künftige Senatorin für Soziales, Familie und Gesundheit, gilt in der SPD als streitbare, manchmal unbequeme „Querdenkerin“. Die 61jährige diplomierte Volkswirtin ist verheiratet. Eines ihrer beiden Kinder ist behindert. Doch nicht nur daraus ist ihr besonderes Engagement im Bereich der Politik für Behinderte, psychisch Kranke und Alte erklärbar.

Von 1974 bis 1978 war sie während der Bonner SPD/FDP- Koalition im Bundesfamilienministerium zuständig für Familien- und Sozialpolitik. Anschließend wechselte sie als Beigeordnete zum Landschaftsverband Rheinland und war verantwortlich für den Bereich Sozialhilfe. Seit 1986 leitet Irmgard Gaertner von Kassel aus als Direktorin den Landeswohlfahrtsverband Hessen (LWV). Als Chefin von rund 9.000 Mitarbeitern hat sie dort einen Jahresetat von mehr als zwei Milliarden Mark verwaltet. Der „Landeswohlfahrtsverband“ ist der Zusammenschluß sämtlicher Kreise und Kommunen und fungiert als überörtlicher Sozialhilfeträger. Ihm sind Kliniken und andere regionalen Sozialzentren in Hessen unterstellt. Der Verband ist damit von seiner Funktion etwa mit der stadtbremischen Sozialverwaltung vergleichbar.

Im Schattenkabinett des hessischen Ministerpräsidenten Hans Eichel war Irmgard Gaertner als Sozialministerin vorgesehen. Die Kompetenzen wurden allerdings aufgeteilt und zur Hälfte in den Koalitionsverhandlungen der Grünen Iris Blaul zugeteilt, der Rest, sagt man, sei Gaertner zu wenig gewesen.

Besonders für alte Menschen ist Gartner immer wieder öffentliche aufgetreten: Es sei eine „Schande“, verkündete sie mit spürbarer Überzeugung, daß alte, hilfsbedürftige Menschen zum Sozialamt gehen müßten. Erst kürzlich sorgte die 61 Jahre alte Sozialexpertin mit einer Denkschrift in Hessen und auch in ihrem eigenen Landesverband für Aufsehen: Alte Menschen, forderte sie, sollten dort betreut werden, wo sie wohnen — nämlich beim Amt vor Ort. Auch für chronisch psychisch Kranke sollte ein Netz von örtlichen Einrichtungen und Diensten eine Unterbringung in der „Verwahranstalt“ Krankenhaus ersparen. Irmgard Gaertner ist Verfechterin der sogenannten Gemeindepsychiatrie.

„Vielleicht geht sie jetzt auch nach Bremen, weil ihre Streitschrift nicht die Resonanz gehabt hat, die sie erwartet hat“, kommentierte der frühere hessische Sozialmimister Armin Clauss gegenüber der taz die überraschende Nachricht ihres Abschieds aus Hessen.

Auch für sie selbst sei der Ruf nach Bremen „völlig überraschend“ gekommen, erklärte sie und verweist auf den SPD-Landesparteitag am 7. Dezember, wo sie auf eine überzeugende Mehrheit hofft. Erst dann werde sie endgültig „Ja“ sagen, auch wenn Bürgermeister Wedemeier sie bereits als „überzeugende“ Wahl vorgestellt habe. Gaertner: „So schnell bin ich auch noch nicht in Bremen. Dort muß ich nämlich erst drei Monate mit Wohnsitz gemeldet sein, bevor ich das Amt antreten kann“.

Auf Bremen hatte sie jedoch schon seit einiger Zeit ein Auge geworfen: Ihr langjähriger Lebensgefährte und Mann Otto Fichtner, der seine Karriere bei der Bremer Sozialsenatorin Annemarie Mevissen begonnen hatte und inzwischen bundesweit als Sozialpolitiker einen Namen hat, hatte schon auf dem Teerhof eine Wohnung gekauft. Fichtner ist derzeit in Brandenburg als Berater engagiert. taz/dpa