: Schlamastik im Verwesungsnebel
■ Hertha BSC verliert gegen den sensationell schlechten hannoverschen SV von 1896 mit 0:1 und muß sich überlegen, wie sie trotz sieben Millionen Mark Schulden die Februargehälter ihrer Profis berappen soll
Charlottenburg. Sollen doch erst mal die Trainer was dazu sagen. Also: »Unsere Leistung heute war sensationell«, traute Hannovers Michael Lorkowski von sich zu geben. Aha, soso. »Meiner Mannschaft fehlte einfach die Klasse«, hielt Herthas Bernd Stange tapfer dagegen. Aufgrund dieser auf den Punkt gebrachten Analysen ist eindeutig, wer dieses Spitzenreiterverfolgerduell der Zweiten Liga, Gruppe Nord, gewonnen hat. Genau, der hannoversche Sportverein von 1896. Diese Feststellung allein genügt aber nicht, die weitreichenden und einschneidenden Konsequenzen, welche sich aus diesem Spiel ergeben, auch nur erahnen zu können. Aufklärung tut not; nun denn. Beginnen soll sie in Pulweite des eigenen Nabels, im Morast des Berliner Profi-Fußballs also.
Was hat es da nicht in den letzten Tagen für eine Aufregung gegeben. Die Hertha mußte ihre Jahreshauptversammlung über sich ergehen lassen, erduldete dort das Zugeben von sieben Millionen Mark Schulden, einen neuen Vizepräsidenten und die Ratlosigkeit von Schatzmeister Heinz Striek: »Im Moment weiß ich noch nicht, wie wir die Februargehälter der Lizenzspieler bezahlen sollen.«
Gewiß nicht über die Zuschauereinnahmen. Grad mal noch 4.000 wollten sich am ersten langen Sonnabend vor Weihnachten olle Hertha ansehen. Wer weiß, ob die Nebelschwaden im Olympiastadion nicht schon Produkt der ersten Verwesungsdämpfe eines zur Pleite hinsiechenden Vereines waren. Selbige winkt seit diesem Spiel ganz heftig.
Denn die erste Heimniederlage der Herthaner hat wohl nicht nur die letzten Hoffnungen auf den Wiederaufstieg verschwinden lassen, jetzt droht sogar das Abrutschen in die vollkommen uninteressante Abstiegsrunde und somit in Zuschauerdimensionen wie bei Blau-Weiß 90.
Das ist aber eh wurscht, weil die vier großen Berliner Fußballvereine diese Woche wieder mal beschlossen hatten, lieber getrennt hinab in den Orkus zu dilettieren, statt sich durch Fusion wenigstens eine kleine Möglichkeit zu schaffen, aus der allgemeinen Schlamastik herauszukommen. Nun wird es auch schwer, die vereinbarte Förderung eines einzelnen Vereines nach dem Leistungsprinzip zu entscheiden. Wer soll nur das viele Geld bekommen, das Paul Breitner und Max Merkel mit ihrer Initiative »Bundesliga für Berlin« ankündigen.
Nein, nein, es ist kein Scherz, aber auch nicht sicher, ob Breitner und Merkel noch ihre sieben Semmeln beisammen haben. Sie scheinen tatsächlich überzeugt, daß es Menschen gibt, die dem Berliner Fußball noch Geld geben wollen; einer Institution, die mit Finanzen so verfährt wie der menschliche Verdauungsapparat mit unreifen Äpfeln. Lassen wir sie in diesem Glauben.
Ein anderer Glaube muß dran glauben. Der an einen gerechten Fußballgott. Wie kommt es nur, daß zwei so grauslige Minusfußballmannschaften wie Uerdingen und Hannover jetzt an der Spitze der zweiten Liga stehen ? Womit die vorhin begonnene Aufkärung nun überregional ausgeweitet werden soll. Tatsächlich hat Hannover 96, wie ihr Trainer feststellte, »sensationell« gespielt, sensationell schlecht, unfähig, destruktiv, langweilig und zum Kotzen. Daß dies keineswegs übertrieben ist, zeigt die Tatsache, daß Hertha immerhin mehr als ein Dutzend Torchancen zustande brachte, die 96er wirklich nur eine. Noch peinlicher wird es für die Spieler aus der Kekshauptstadt beim Gedanken, daß sich wohl nur der Platzwart über dieses Spiel gefreut hat; denn permanent blieb eine Hälfte des Rasens unberührt, versammelten sich doch alle Spieler bis auf Torwärter Junghans vor dem Strafraum der Gäste.
Auch die Ausrede gilt nicht, daß 96 noch vor der Halbzeit wegen roter Karte einen Spieler weniger hatte. Bis dahin war die Hertha schon so überlegen, daß den Gästen gar nichts anderes mehr einfiel, als elendig zu mauern. Natürlich darf nicht vergessen werden, daß den Berlinern nichts Vernünftiges einfiel, gegen diesen Antifußball erfolgreich zu sein, oder sie ihre großen Torchancen so kläglich vergaben. Aber sie gaben sich Mühe, immerhin.
So blieb dem arg enttäuschten Bernd Stange nichts übrig als die uralte Erkenntnis, der erfolgreiche Fußball sei wohl nicht der gute. Und da in der Hauptstadt nichts zählt außer Erfolg, waren deutliche Anzeichen dafür nicht zu übersehen, daß die Berliner Sportjournaille langsam beginnt, am Stuhl des Hertha-Trainers zu sägen. Gute Aktion, schließlich haben intelligente und angenehme Menschen bei Hertha BSC nichts zu suchen. Schmiernik
Hannover: Sievers — Wojcicki — Kuhlmey, Klütz — Kretzschmar, Sundermann, Schönberg, Surmann, Sirocks — Grün (88. Freund), Steubing (83. Friedemann).
Zuschauer: 4.057
Tore: 0:1 Klütz (74.).
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