Schädlicher Aktionismus?

Hamburg (taz) — Survival-Abenteurer Christina Haverkamp und Rüdiger Nehberg wehren sich gegen Anschuldigungen von Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen, die ihre geplante Atlantiküberquerung „zur Rettung der Yanomami-Indianer“ als „sensationsheischendes Abenteurertum und schädlichen Aktionismus“ geißeln.

Abenteuerlust und das Bedürfnis, die Natur zu überlisten, haben sie schon immer gepackt: die Kieler Sport- und Mathematiklehrerin Christina Haverkamp (33) und den Hamburger Ex-Konditor Rüdiger Nehberg (56). Der eine zog würmeressend durch Deutschland und die Welt, die andere überquerte den Atlantik im Segelboot. Nehberg hat sich bereits vor elf Jahren Gedanken gemacht, wie er seinen Survivalexkursen einen tieferen Sinn geben könne, hat dann seine Konditorei verkauft und sein Leben der Rettung bedrohter Völker verschrieben.

Seine ehemalige Survivalschülerin Haverkamp hatte er vor zwei Jahren im brasilianischen Urwald wiedergetroffen. Sie bewährte sich in der Urwaldstadt Boa Vista beim Klauen eines Geheimplans der illegalen Goldgräberlandepisten. Seitdem machen beide gemeinsame Sache. Morgen (3.12.) brechen sie zu ihrem neuesten Abenteuer auf: einer spektakulären Atlantiküberquerung mit einem Bambusfloß, mit dem sie von Dakar (Senegal) aus nach Brasilien segeln wollen.

Doch die Kritiker der „sensationsheischenden Verbindung von Abenteuertum und Menschenrechtsarbeit“ bleiben nicht aus. Schwere Vorwürfe erhebt der Münchner Verein „Pro Regenwald“: Haverkamp sei nicht an dem Schicksal des vom Aussterben bedrohten Urvolkes im brasilianischen Amazonasbecken, sondern nur an ihrer Publicity interessiert. Sie gefährde, so Pro-Regenwald-Sprecher Wilhelm Rodrian gegenüber der taz, die Arbeit aller Yanomami-Hilfsgruppen. In dieselbe Kerbe schlagen die „Brasilien Initiative“ (Freiburg), das „Internationale Komitee für die Indianer Amerikas“ (Basel) und die „Arbeitsgemeinschaft Solidarische Welt“ (Berlin).

Ihre Vorwürfe, die sie erst jetzt öffentlich machten, stützen die Kritiker auf Aussagen von Teilnehmerinnen einer Frauenexpedition, die unter Leitung von Christina Haverkamp Anfang des Jahres ins Yanomami-Gebiet zog — streckenweise in Begleitung des Münchner Filmemachers Wolfgang Brög. Haverkamp habe sich im Urwald als Ärztin ausgegeben, obwohl sie kaum Medizinkenntnisse besitze, und gegen den Willen der Indianer Fotos von einem sterbenden Jungen gemacht. Auch habe sie die ebenfalls dem Tabu unterworfene Verbrennungszeremonie des Toten abgelichtet und kranke Indianer mit der Verweigerung von Malariatabletten zu Fotos erpreßt, halten die ExpetitionsteilnehmerInnen Haverkamp vor. Mit ihrem verantwortlungslosen Verhalten habe sie in Brasilien Regierungsstellen, Unterstützerorganisationen und die Yanomami selbst gegen sich aufgebracht. Dadurch sei die Hilfsarbeit aller Ausländer in Brasilien für die Yanomami gefährdet, sagt Pro Regenwald.

„Das ist eine üble Schmutzkampagne“, konterte Rüdiger Nehberg vor der Abfahrt in Hamburg gegenüber der taz, „angezettelt aus Profilierungsneid von Wolfgang Brög.“ „Ich habe den sterbenden Jungen und die Verbrennungszeremonie fotografiert, weil ich von den Indianern und einer Ärztin von Médicins du Monde ausdrücklich darum gebeten worden war“, verteidigt sich Haverkamp. Sie habe dokumentieren wollen, was die brasilianischen Behörden zu vertuschen versuchten: „Die Yanomami sind von einer akuten Hungersnot bedroht, ihr Sterben geht trotz erster Hilfsmaßnahmen unvermindert weiter.“ Als Beweis legte sie der taz Bilder von skelettdürren, verhungerten und sterbenden Indianern vor. „Die anderen ExpeditionsteilnehmerInnen haben versucht, mir dieses Bildmaterial zu entwenden und es zu vernichten, weil es angeblich die Menschenwürde der Indianer verletze“, sagte Haverkamp. Mehrere Gerichtsverfahren, in denen es um Geld, Film- und Fotorechte sowie um Beleidigungen geht, beschäftigen inzwischen die Gerichte.

„Was ist verwerflicher“, fragte Haverkamp, die in Brasilien einen Kursus als Malariahelferin gemacht hatte, „sich als Ärztin auszugeben, um Völkermord zu beweisen, oder ihn durch Entzug von Lebensmitteln und Verschweigen als Mittäter zu begehen?“

Dieser Darstellung schließt sich die Gesellschaft für bedrohte Völker an. Sie unterstützt die jüngste Haverkamp-Nehberg-Aktion in der Hoffnung, daß die brasilianische Regierung durch weltweite Aufmerksamkeit zu verstärkten Hilfsmaßnahmen für die Indianer gewungen wird. Denn die Forderung, daß das 94.000 Quadratkilometer große Siedlungsgebiet der Yanomami sofort als Schutzgebiet ausgewiesen wird, wurde noch nicht erfüllt. Bisher hat Präsident Fernando Collor de Mello den immer noch von Goldgräbern bedrängten Indios nur die Rückgabe ihres Landes und dessen langwierige Vermessung zugesichert. Peter Hermes