Militärischer Nachlaß

Spaziergang durch eine verlassene Kaserne  ■ Von Gabriele Goettle

Es ist Sonntag, der zweite Sonntag vor dem ersten Advent, der sogenannte Volkstrauertag. Das Volk verbrennt Herbstlaub im Vorgarten oder wartet auf die Sportschau.

Die graublau getünchten Gebäude der russischen Kaserne stehen beiderseits der Straße hinter dünnwandigen Betonmauern und rotten mit zerschlagenen Fensterscheiben und zerfledderten Dächern im trüben Novemberwetter vor sich hin. Auf den Fassaden wuchern riesige Stockflecke, so als hätte es in allen Etagen Überschwemmungen gegeben. Einige Neubauten, ehemals wohl Offiziersunterkünfte, strahlen nichts mehr von dem Komfort aus, den sie zweifellos einmal boten. Der Offiziersclub ist vernagelt, im gläsernen Schaukasten neben dem Eingang liegt unter den Scherben eine feuchte Zeitung in kyrillischer Schrift. Das Häuschen der Bushaltestelle ist vollgekritzelt mit jenen ornamentartigen Signaturen, mit denen die männliche Jugend weltweit ihre Reviere zu markieren scheint, nur daß man hier und vielerorts mit Stift und Pinsel arbeiten mußte, statt mit den unbezahlbaren Spraydosen. Auch die Administration, die das alles hier übernommen hat, war nicht müßig. Überall wimmelt es von Einfahrtverbot- Schildern und von Tafeln, die das Betreten des Geländes streng untersagen.

Wir wählen das nächstbeste Gebäude, umrunden es und finden auf der Rückseite die Eingangstür zerschmettert in den Angeln hängen. Drinnen im Treppenhaus ist es feuchtkalt und düster. Der Steinfußboden wirkt sauber, wie gerade erst gefegt. Nur auf dem Treppenabsatz liegt, wie verlorengegangen beim Abtransport, ein Häufchen grauer Würfelzucker. Eine zweiflügelige verglaste Schwingtür führt in die Flure, von denen die Türen zu den Stuben abgehen. Es riecht ein wenig nach Moder und Abtritt, unsere Schritte hallen durchs ganze Haus. Neben der Eingangstür befand sich offenbar eine kleine Küche, die emaillierten Gasherde stehen unversehrt und gereinigt im leeren Raum. Auch zwei gußeiserne Pfannen ohne Griff wurden zurückgelassen und das Plakat an der Wand, auf dem das vorschriftsmäßige Lüften zur Vermeidung von Gasvergiftungen demonstriert wird. Alle anderen Räume im Erdgeschoß sind ausgeräumt, hinter den Türen liegt nur das Glas der eingeworfenen Fensterscheiben.

Angesichts solch gähnender Leere könnte man das Feld eigentlich wieder räumen, aber wir versuchen es zuvor noch im oberen Stockwerk. Hier ist es heller, nicht alle Scheiben sind kaputt. In den Stuben erwartet uns eine Überraschung in Form von zurückgelassenen Wanddekorationen. Da ist ein Ensemble aus Pralinenkartondeckeln aufgehängt, rosafarben und hellblau. Unter goldgeprägten Schriftzügen wie „Wiener Mischung“ oder „Edel — halb und halb“ tummeln sich flauschige Katzen, liegen Pralinenpyramiden auf Kristallschalen, gibt es brennende Kerzen zu sehen oder zwei Baccararosen.

Der Nebenmann hat Dutzende Zigarettenschachteln westlicher Marken gesammelt und an seine Wand geheftet und zusätzlich, vielleicht aus seinen Lieblingsmarken, nochmals eine Collage gemacht, und zwar nur aus den Titelblättern sozusagen. Schwer zu sagen, was er da hineinträumte beim Liegen im Bett.

In anderen Stuben bedecken Abbildungen von lächelnden Frauen die Wand, ausgeschnitten aus russischen Magazinen. Bei voller Bekleidung werfen sie äußerstenfalls vielsagende, leicht verruchte Blicke in die Kamera, so wie es der Mann auch bei uns noch in den sechziger Jahren schätzte. Keine Pose geht über das hinaus, womit man hier heutzutage für Shampoo wirbt. Auf den Wäscheseiten des Quelle-Katalogs gibt's weitaus schärfere Sachen, als man an diesen Wänden sieht. Ob sich das Fehlen von „Pin-up-Girls“ einem Verbot oder dem Mangel verdankt, ist ungewiß. Vielleicht aber ist es immer noch nicht so ganz der Brauch, denn es fehlen auch die unverzichtbaren Pendants, die Bilder schwellender Muskelmänner, Kung- Fu-Kämpfer und Sportler. Kein Arnold Schwarzenegger, kein Silvester Stallone hat den Weg hier auf diese Soldatenwände geschafft. Vielleicht ist es aber auch so, daß die wertvollsten Stücke mitgenommnen wurden in die trostlose Heimat? Andererseits sehen die Wände nicht aus, als würden Teile der Bebilderung fehlen.

Die Fetische jedenfalls, die hier den Platz der verführerischen Körper innehatten, scheinen durchaus imstande gewesen zu sein, mit ihnen zu konkurrieren. Aber das grenzt schon bei aller Komik ans Tragische, daß diese russischen Soldaten der Wahrscheinlichkeit nach weder in den Besitz der schnittigen Sportwagen mit Spoilern und Schürzen kommen werden, die sich einige aufgehängt haben, noch in den der liebevoll ausgeschnittenen Teller voller Nudeln, belegter Brote, kalter Braten, exotischer Früchte. Da ist es schon klüger, wenn man die Werbung hängen läßt, wo einem das Ding gar nicht zur Ware geworden ist, und so ja bereits das pure Aufhängen des Bildes zum Problem werden konnte. An allen Ausschnitten sind millimeterschmal zugeschnittene Tesafilm- Streifchen zur Befestigung verwendet worden, bei den kleineren Bildchen nur zwei über Eck.

Ich weiß ja nicht, wie es in Bundeswehr- oder meinetwegen auch NVA-Kasernen aussieht und aussah, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß man dort jemals solche sanitären Verhältnisse hatte, wie sie hier auf allen Etagen zu sehen sind. In dem Raum, der die Klos beherbergt, herrscht immer noch beißender Uringeruch. Die Klovorrichtung an sich besteht aus einer Art steinerner Latrine mit einem Loch, über dem man wohl hockend schwebte, Wassereimer und Bürste waren sicher nicht imstande, diesen einen Abtritt für ein paar Dutzend Männer laufend gebrauchsfähig zu halten. An Papier war bei all dem Materialmangel bestimmt auch nicht zu deken. In manchen Kloräumen ist noch ein Schlauchanschluß zum Ausspritzen, in anderen ein steifer Gummivorhang, hinter dem geduscht werden konnte. Normalerweise war wohl nur Waschen vorgesehen im Gemeinschaftswaschraum. Dort steht, überall identisch, ein durchgehendes, langes, aus gelbgrünen glasierten Kacheln und Ziegeln zusammengefügtes Becken. Wir erkennen es sofort wieder und begreifen schlagartig, daß wir uns hier in einer ehemaligen Nazi-Kaserne befinden. Als wir vor einer Woche in Auschwitz- Birkenau waren, fanden wir im ehemaligen Frauenlager genau die gleichen Waschmulden in den Blöcken, sogar in derselben Farbe.

Einen Haarschneideraum haben wir besichtigt. Über fünf Porzellanbecken an der Wand hängt jeweils ein kleiner Spiegel, flankiert von Schwarzweiß-Bildern, aufgezogen auf Preßpappe, die junge Männer mit gefälligen Frisuren zeigen. Das Haar ist weder militärisch kurz noch nach der hier wieder so beliebten Dreißiger-Jahre-Manier am Nacken hochgeschoren. Zurückgelassen wurde auch ein schwerer Friseurstuhl, trotz Hydraulikvorrichtung, aus rotem Kunstleder, mit Nackenstütze und halbkugeligem Metallsockel.

Zu allerletzt sahen wir noch das Zimmer eines vermutlich ranghöheren Offiziers, der seine Blattpflanzen auf der Fensterbank zurückgelassen hat. Daß hier, zusätzlich zum Heizkörper, noch ein beachtlicher eiserner Ofen aufgestellt wurde, läßt darauf schließen, daß die zentrale Beheizung sehr unzureichend war. Dafür aber mußte er mit dem gleichen schmalen, kaum zur Federung bespannten, schlechten Metallbett vorlieb nehmen, wie es auch in den Mannschaftsräumen zu sehen war. Gegenüber vom Bett ist die Wand bedeckt — nicht mit Traumfrauen — mit einer großen Europakarte. Ganz verblüffend ist es, davorzustehen und plötzlich zu sehen, daß Rußland hier im Zentrum liegt. Der Rest ist seitlich am Rand versammelt. Wo das Auge sich gewohnheitsmäßig auskennt, liegt Moskau statt Prag, Nowgorod statt Berlin, Leningrad statt Hamburg. Das ist ein echtes Bildungserlebnis.

Wir schlendern über die Straße, zum ehemaligen Offizierscasino, um einen Blick in die bei den Nazis so beliebte Feierhalle zu tun. Die Fenster sind mit Pappe verschlossen, durch ein Loch ist zu sehen, daß irgendwelche Leuchter von einer verkohlten Decke hängen. Als wir gerade über die halb in der Erde vergrabenen, buntbemalten fünf Lastwagenreifen diskutieren, tauchen zwei Männer mit abweisenden Mienen auf, der größere von beiden schiebt seine camouflage-farbene Jacke beiseite, zeigt einen angehefteten Betriebsausweis und sagt streng: „Verlassen Sie sofort das Gelände!“ Wir versichern, daß wir ohnehin gerade im Begriff waren zu gehen, sie aber bestehen darauf, uns zum Ausgang zu begleiten.

Nach kurzem Schweigen, das ihnen peinlich zu sein scheint, frage ich nach ihrer Aufgabe hier, und ziemlich erleichtert berichten sie von der Arbeit, die sie als Wachschutzleute zu verrichten haben:

A: Wir sind ja noch nicht lange hier, erst stand alles unbewacht, aber da können Sie sich ja denken...

E: Wir waren drüben in den Häusern, waren da überall Rohrbrüche?

A: (lacht) Das waren unsere lieben Deutschen. Der Russe hat alles hier besenrein übergeben, aber da kamen dann gewisse Elemente... alle Hähne auf im Keller, alle Scheiben raus, Feuer legen... solche Dinger sind hier gelaufen.

B: Wir ham das ja mit eigenen Augen erlebt, wie da mal einer kam mit dem Vorderlader, was?

G: Was für einer, was für Leute waren das?

A: Na Asis halt. Der Kollege von mir geht hier rum mit dem Hund nachmittags, das ist so ein Vieh, da kommt der auf den zu und muß wohl besoffen gewesen sein, macht immer „na, nu komm mal her mein kleiner, tututututu“, und der Kollege legt sich in die Leine, kann das Tier kaum halten und da hat der wohl doch irgendwie ein bißchen zugefaßt, jedenfalls sagt der Asi: „Im Dunkeln komm ich wieder mit ner Waffe in der Hand.“

B: Und der ist doch tatsächlich gekommen, wir beide hatten Dienst, da ham wir uns nur noch in den Dreck geschmissen und gemacht, daß wir Land gewinnen...

A: Ich laß mich doch nicht wegen so einem Objekt hier totschießen. Eigentlich bin ich ja Koch, hab meinen Ökonom in der Tasche. Viel lieber würde ich in meinem Beruf arbeiten.

E: Da müßten Sie ein kleines Restaurant aufmachen.

A: Was denken Sie, was ich versucht habe, da bekommen Sie keinen Pfennig Kredit von der Bank. Die sagen Ihnen glatt, da war ich arbeitslos, daß die ganze Gegend hier strukturschwach ist und zu arm, um Essen zu gehen. Für ein Puff hätte ich sofort einen Kredit bekommen.

B: Na weißte!

A: Interessiert mich ja nicht!

G: Wann sind denn die Kasernen gebaut?

A: Die sind noch von Adolf, ja, aber da hinten, die Neubauten sind aus den letzten Jahren, die aus Ziegeln sind älter, die Platte glaube ich, sind Ende der Achtziger. Da sollen angeblich

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Asylanten rein. Na, da können wir uns auf was gefaßt machen hier. In Prenzlau ham wir die auch, so wie überall, die Glatzköpfe.

B: Und ob!

A: Aber die Häuser sind noch einwandfrei in Ordnung. Ich hab ja zu Hause genau denselben Karnickelstall, der Grundriß, alles dasselbe. Da hamse die Küche und die Naßzelle, die werden als Fertigelement mitten reingesenkt, kein Fenster, nichts.

G: In der Küche auch nicht?

A: Nix! Da ist eine Lüftung, und dann ham sie eine kleine Durchreiche...

B: Das ist doch praktisch!

A: Nur funktionieren tuts nicht. Wo soll ich denn mit der Eßecke hin, das verrate mir mal, denn da ist ja der einzige Platz für die Schrankwand. Dann haben Sie die Eßecke also neben der Tür, und die Durchreiche hat sich ja erledigt, wenns durch die Tür näher ist, klarerweise.

B: Höchstens fürs Bier, wenn du in der Sitzecke sitzt...

A: Nee, die ist ja auf der anderen Seite, dort ist ja der Fernseher.

B: Bei mir geht das.

A: Ich hab das bei mir anders gelöst. (Er bleibt stehen und demonstriert mit rudernden Armbewegungen und abmessenden Schritten das Beschriebene.) Also, ich habe die Schrankwand halbiert, der eine Teil kam hierhin, der andere dort rüber, und nun sitzen wir korrekt vor der Durchreiche an unserem Eßplatz.

B: Also doch!

A: Ja, ja! Na und dann haben wir zwei Kinder, die schon in die Schule gehen, denen haben wir das große Zimmer gegeben, die müssen sich ja auch mal austoben können, und im kleinen, das eigentlich Kinderzimmer sein soll, da schlafen wir. An sich geht es schon, es ist nicht schlecht... jedenfalls, wenn da Asylanten reinkommen, ham die es nicht schlecht, ein paar Möbel rein, Küche und alles ist ja schon drin.

B: Da waren ja vorher auch Familien drin...

G: Wann sind denn die Russen hier weggegangen?

A: Ich glaube, so im Juli 91. Was mit denen nu geworden ist, möchte ich auch nicht wissen, die haben ja nichts zu Essen zu Hause, keine Wohnungen, nichts, sollen alle erstmal irgendwie in Zeltlager gekommen sein, hört man.

B: Hier hatte der kleine Soldat ja auch nichts richtig zum Beißen. Drüben haben sie Schweine gemästet für die Offiziere, und Karnickel gehalten... Zwiebeln, Gemüse und sowas haben sie auch angepflanzt...

A: Ist ja alles verseucht hier, der ganze Boden.

G: In welcher Form?

A: Na, hinten, da hatten sie ihre Fahrzeuge gewartet und alles, da sind solche Wannen aus Beton, Ölabscheider, aber ob das alles dicht ist und wo sie immer hin sind damit, das weiß niemand.

G: Und weshalb stehen dort drüben alle die Herde und Badewannen?

A: Das sind unsere ABM-Kräfte, die das dort aufstellen. Sie holen alles raus, was noch brauchbar ist, und das wird dann verkauft an eventuelle Interessenten.

Wir sind auf der Straße angekommen und werden freundlich verabschiedet.

Um auch noch die offiziellen Informationen dazu zu hören, rufe ich am Montag im Rat der Stadt in Prenzlau an und werde mit dem Bürgermeister verbunden:

G: Ich habe einige Fragen zu den russischen Kasernen, die nun leerstehen. Was hat man denn damit vor?

B: Das sind ja mehrere Kasernen, nun eh, nach dem Einigungsvertrag sind ehemalige sowjetische Liegenschaften — und auch die Liegenschaften der NVA übrigens — jetzt Eigentum des Bundes, und soweit ich weiß, hat das Bundesvermögensamt die Kasernen ausgeschrieben, so daß man letzten Endes hier die Gebote machen kann...

G: Wer hat denn Interesse an so etwas?

B: Na wir zum Beispiel, die Stadt, denn wir haben hier in Prenzlau immerhin einen Wohnungsbedarf von 1.500 Wohnungen, wohlgemerkt, Wohnungen, und bei den Kasernen, da sind ungefähr noch 300 Wohnungen, und nun können Sie sich vorstellen, wenn wir die hier hätten — würden wir sie natürlich auch von der Kommune aus in Ordnung bringen — da wäre uns schon ein ganzes Stückchen leichter. Die Wohnungen sind teilweise in den Neubauten, teilweise im Reichsvermögen — also Fiskus von früher —, wir würden sie dringend benötigen, aber die Beamtenmühlen mahlen langsam, sehr langsam, in den Altbundesländern noch langsamer als bei uns.

G: Vielleicht gibt es Gründe?

B: Nein, die Gründe liegen nicht da, wo man sie sehen muß!

G: Ich habe gehört, es sollen Asylsuchende dort untergebracht werden?

B: Nein, das stimmt nicht! Nummer eins: die Vermögensanstalt ist eine Bundesanstalt, Asylantenheime sind Ländersache! Vom Innenministerium des Landes Brandenburg habe ich definitiv die Zusage: „Da kommen keine Asylanten rein!“ Und das Wort eines Innenministers zweifle ich nicht an.

G: Dann ist meine Information also falsch?

B: Veraltet. Die haben wir auch mal gehabt. Wir haben ja einen Bundestagsabgeordneten in Bonn, das habe ich da überprüfen lassen, und von dem kam die gleiche Information, die Sie hatten, aber wie gesagt, das ist Ländersache, und da kann uns Bonn nach dem Gesetz nicht vorschreiben, da wird das und das reingetan, wir dürfen ja auch nicht Bundesrecht außer Kraft setzen.

G: Von wann stammen denn eigentlich die Kasernen?

B: Die sind noch aus dem Dritten Reich, da war die Wehrmacht drin.

G: Und die russische Einheit, die nach '45 die Kasernen bezog, war das bis zuletzt dieselbe?

B: Nicht ganz..., aber fast..., wie die hieß, weiß ich im Moment nicht, aber das waren zwei Panzerregimente. Uns hatten sie damals nicht so sehr interessiert, mich als Person wenigstens nicht, ich habe sie nie gesehen, 1988 sind sie abgezogen worden.

G: Waren Sie da schon Bürgermeister?

B: (lacht) Nee, wissen Sie, wenn ich damals schon Bürgermeister gewesen wäre, dann wäre ich ja von der SED eingesetzt worden, ne, ne, sowas wollen wir in unserer Stadt nicht haben, wir waren hier schon vor dem Fall der Mauer revolutionär. Immerhin, wir sind die einzige Stadt in Deutschland, die es den Alliierten nicht gestattet hat, einen Flugplatz zu benutzen.

G: Wozu brauchen Panzerregimente einen Flugplatz?

B: Nee, die sind ja, wie gesagt, '88 hier abgezogen worden, und dann kamen andere, die haben ohne unser Wissen einen Flugplatz gebaut und wollten 86 Kampfhubschrauber hierher bringen. Aber wir haben solange Terror gemacht und demonstriert, wir waren in der Botschaft in Berlin und überall, und das zu DDR- Zeiten! Und wir haben unseren Willen durchgesetzt.

G: Und wann sind die letzten Soldaten hier abgezogen?

B: Also, die Panzereinheit '88, und die anderen, das war im August '91, daß die Fliegereinheit verschwunden ist. Den Flugplatz haben sie teilweise wieder demontiert. Die haben es nicht gewagt, ihre Kampfhubschrauber hierher zu holen, das ist Tatsache, schreiben Sie das ruhig, sowas hat keiner in der Altbundesrepublik geschafft! Schicken Sie mirs dann her? Am Steintor4, und Hoppe ist mein Name, Bürgermeister. Das mit dem Steintor jetzt ist ja leicht zu schreiben. Früher hieß der Platz Starucelcky-Platz, so benannt nach dem ersten russischen Kommandanten, den wir hier hatten. Den wollten wir aber nicht mehr, den Namen, der Bursche hat ein paar sehr böse Sache gemacht.

G: So?

B: Nun ja, er hat beispielsweise Prenzlau zu 80Prozent niedergebrannt, dafür wurde er dann auch noch Ehrenbürger...

G: Das war ja wohl im Krieg, den wir angefangen haben, nicht verwunderlich, daß unsere Städte abbrennen.

B: Falsch! Denn sehnse mal, wenn eine Stadt abbrennt, nachdem die Kampfhandlungen beendet sind — die waren eingestellt, und danach erst ist die Stadt abgebrannt worden — da kann man keine Entschuldigung gelten lassen.

G: Die Werwölfe, der Volkssturm werden wohl ihre Panzerfäuste abgeschossen haben, wie fast überall.

B: Und wenn die das auch gemacht hätten, dann macht man die Werwölfe und die Dings kaputt und brennt nicht fast die ganze Stadt nieder. So viel Haß muß man nicht haben! Sehn Sie, das waren damals junge blutrünstige sibirische Kräfte, die hierher kamen und gewütet haben... an... die hatten schon den Namen danach... ach, es gibt so viel zu erzählen über Prenzlau, am besten, Sie besuchen mich mal.

G: Erstmal bedanke ich mich für die Auskünfte, auf Wiederhören.