: Sternenbanner in Guangzhou
Die USA gewannen das Finale der ersten Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen mit 2:1 gegen Norwegen/ Fast 500.000 Chinesinnen und Chinesen sahen die 26 teilweise hochklassigen Spiele ■ Aus Guangzhou Hagen Boßdorf
Der Fußballweltverband FIFA zog eine positive Bilanz. Präsident Joao Havelange sonnte sich im Glanze seines jüngsten Kindes und rühmte die Frauen-WM in China „als einen Schritt zur Gleichberechtigung der Frau auf dem Fußballrasen“. Die Organisatoren wurden als „fleißig und lernwillig“ gelobt. Fast 500.000 Zuschauer bewiesen außerdem ein Zuschauerinteresse, das kaum ein anderes Land der Erde mobilisieren könnte. „Die Dimensionen dieser Weltmeisterschaft dürfen nicht zum Maßstab für die nächste werden“, meint denn auch die einzige Frau im Männerclub der FIFA, Hannelore Ratzeburg aus der BRD.
Trotzdem spukte schon am Tag des ersten Endspiels die zweite Weltmeisterschaft in vielen Hinterköpfen. „Ich habe inoffiziell von einer Bewerbung der Bundesrepublik für 1995 gehört“, bestätigte FIFA-Pressesprecher Andreas Herren. In diesem Jahr erlebt nämlich der deutsche Frauenfußball den 25. Jahrestag seiner offiziellen Zulassung. „Einer Bewerbung Deutschlands stehe ich zurückhaltend gegenüber“, zeigte sich dagegen Bundestrainer Gero Bisanz skeptisch. Die Resonanz dieser Sportart sei viel zu gering. „Ich hörte, daß sich die USA bewerben will, wenn sie Weltmeister wird“, sagte der Fußball-Lehrer. Ein nigerianischer Journalist dagegen forderte von der FIFA, sie solle mit der nächsten WM getreu dem chinesischen Beispiel ein bevölkerungsreiches Land unterstützen. Da wären dann 150 Millionen Nigerianer starke Kandidaten.
Norwegen zog eine tragische Bilanz. Der Sieger des WM-Tests von 1988 verlor nach den Europameisterschafts-Endspielen 1989 und 1991 sein drittes wichtiges Finale in Folge. Ihnen klebte das Pech an den Stollen. „Definitely“, knurrte Norges Trainer Even Pellerup auf die Frage, ob denn das richtige Team die Weltmeisterschaft gewonnen hätte. Sein Ärger war verständlich: Er hatte dem Vize-Europameister eine ausgezeichnete Taktik konstruiert, die den US-Frauen erstmals im WM- Turnier Paroli bot. Noch gegen die Bundesrepublik hatte die Ami-Tormaschine im Halbfinale fünf Tore ausgespuckt. Diesmal blieb es bei einem — bis zur 79. Minute.
Da unterlief einer bis dahin hervorragend spielenden norwegischen Verteidigerin ein katastrophaler Stolperer mit noch katastrophaleren Folgen. Hinter ihr stand nämlich Michelle Akers-Stahl, die beste Angreiferin des gesamten WM-Turniers. Sie frohlockte über die unverhoffte Gelegenheit, umspielte die Torhüterin und schoß ihr 38. Länderspieltor in diesem Jahr — unwichtig, ihr 10. Tor im WM-Turnier — unwichtig, ihr erstes Tor, das eine Weltmeisterschaft entschied. Ein 70 Sekunden langer Sturmlauf der enttäuschten Norwegerinnen konnte daran nichts mehr ändern.
Die USA zog eine nationalistische Bilanz. Die Fans aus den Staaten schreckten nicht davor zurück, die sorgsam von chinesischen Arbeiterinnen vorbereiteten Blumenkästen mit ihren Sternenbannern zu mißhandeln. Ein einziges Gekreische und „That's great“-Gejohle begleitete die eigentlich feierliche Siegerehrung. Die Spielerinnen verschonten das verschreckte chinesische Publikum auch nicht mit dem choralen Gesang der US-amerikanischen Hymne. Dabei war das US-Team — rein sportlich gesehen — ein durchaus würdiger Weltmeister. Keine Fußballerinnen der Welt können so dynamisch, aggressiv und kraftvoll Fußball spielen.
Damit wurde ein Land Weltmeister, in dem der Frauenfußball auch am weitesten entwickelt ist. An den Colleges und Universitäten der USA gibt es rund 1,5 Millionen Soccerinnen, an den Schulen weitere drei Millionen balljagende Mädchen. Die Nationalmannschaft spielt seit Jahren zusammen und erreichte in der nordamerikanischen WM-Qualifikation ein beachtliches Torverhältnis von 38:0. An den Universities bekommen die weiblichen Fußball- Stars monatlich tausend US-Dollar plus täglich 40 Dollar Essensgeld.
Trotzdem spielt die beste Spielerin der ersten Weltmeisterschaft der Frauen in Schwedens semiprofessioneller Liga. Michelle-Akers Stahl wollte ursprünglich in die Bundesliga nach Frankfurt/Main wechseln, konnte sich mit dem Verein jedoch nicht einigen. „Ich hätte gerne in Deutschland gespielt“, erzählte Michelle Akers-Stahl, die trotzdem nicht über mangelnde Beschäftigung klagen wird. Die Torschützenkönigin der WM ist für die nächsten drei Monate mit Werbeaufträgen und Promotionsauftritten ausgebucht.
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