Einstand

■ Wolfgang Schäuble ist im neuen Amt auf Profilierungs- und Konfrontationskurs

Einstand Wolfgang Schäuble ist im neuen Amt auf Profilierungs- und Konfrontationskurs

Wolfgang Schäuble scheint es mit der Profilierung als Vorsitzender der Bonner Fraktion recht eilig zu haben. Anders jedoch als letzte Woche, als er mit einem vermeintlichen Koalitionskompromiß zur faktischen Abschaffung des Asylrechts schlimmste Befürchtungen auf seine künftige Amtsführung weckte, propagiert er im zweiten brisanten Konflikt, der Neuregelung des Paragraphen 218, jetzt die Gewissensfreiheit der Unionsabgeordneten. Abgefedert durch die Hoffnung, auch Abgeordnete anderer Fraktionen werden nach ihrem Gewissen abstimmen, so daß sich am Ende die Dissidentenstimmen neutralisieren, hält Schäuble dennoch mit seinem Realismus in Sachen Mehrheiten nicht hinterm Berg: Eine Entscheidung für die Fristenlösung sei denkbar. Das klingt wie das Eingeständnis, daß die Union die heilige Schlacht in Sachen Abtreibung schon verloren gibt — und so hat es die CSU auch verstanden: Die Unionsfraktion hat ihren ersten internen Konflikt, losgetreten vom neuen Chef.

CSU-Generalsekretär Huber kontert und will — kaum überraschend — alle unentschiedenen Unionsabgeordneten auf das gemeinsame Wahlprogramm verpflichten. Eine echte christliche Gewissensentscheidung in der Abtreibungsfrage kann in Hubers Verständnis nur konform zur Mehrheitslinie ausfallen. Gewissensentscheidung, so Hubers einprägsame Maxime für unsichere Kantonisten, heiße nicht, „nach Lust und Laune zu entscheiden“. Für Schäuble hat er eine dementsprechend klare Aufgabenzuweisung parat: der habe gefälligst die „Ausreißer in der Abtreibungsfrage“ zur Räson zu bringen.

Doch Schäuble will ganz offensichtlich nicht nach der bayerischen Flöte tanzen. Experimentiert er in der Asylauseinandersetzung immer öfter mit demagogischen Zwischentönen, so hat er jetzt im 218-Konflikt all diejenigen Unionsabgeordneten zum Dissens ermutigt, die sich bislang, eingeschüchtert von der Erwartung eines fraktionsinternen Spießrutenlaufs, bedeckt halten. Kaum anzunehmen, daß Schäuble nicht wußte, was er den Christsozialen, die gerade noch einmal auf ihrem Parteitag die kompromißlose Haltung in der Abtreibungsfrage bekräftigt haben, damit zumutet. Es scheint, als wolle Schäuble gleich zu Beginn seiner Amtszeit die konflikt- und profilierungsbereiten Bayern in ihre Schranken weisen. Noch brisanter jedoch ist die Tatsache, daß Schäuble mit seinem jüngsten Vorstoß zugleich seinen Gönner Kohl düpiert, der noch vor wenigen Tagen die erklärten Fraktionsabweichler, allen voran Rita Süssmuth, harsch abkanzelte. Setzt Wolfgang Schäuble, keine Woche im Amt, behutsam Zeichen für einen künftigen Emanzipationskurs der Fraktion? Kein anderer jedenfalls als er könnte sich das ungestraft leisten. Matthias Geis