Es geht um mehr als das beste Angebot

■ Obwohl die Treuhand vorgibt, sie könne von ihrer Entscheidung, die Stahlwerke in Hennigsdorf und Brandenburg an die italienische Riva-Gruppe zu verkaufen, nicht mehr zurücktreten, belegt ein...

Es geht um mehr als das beste Angebot Obwohl die Treuhand vorgibt, sie könne von ihrer Entscheidung, die Stahlwerke in Hennigsdorf und Brandenburg an die italienische Riva-Gruppe zu verkau- fen, nicht mehr zurücktreten, belegt ein der taz vorlie- gendes Gutachten, daß sie dem von der Hennigsdorfer Belegschaft favorisierten deutschen Angebot von Thyssen & Co immer noch zustimmen kann. Eine neue Bieterrunde wird es kaum geben, fürchtet doch die Treuhand, ausländische Investoren abzuschrecken.

Die italienische Riva- Gruppe hat das bessere Angebot vorgelegt. Wir bleiben bei unserem Unternehmenskonzept.“ Mit diesen Worten lehnte Hans Krämer, Vorstandsmitglied der Berliner Treuhandanstalt und für die Veräußerung der Stahlwerke zuständig, in der vergangenen Woche jede Neuverhandlung über die Stahlhütten in Hennigsdorf und Brandenburg ab. Die endgültige Entscheidung liegt zwar beim Ende Dezember tagenden Verwaltungsrat der Treuhand. Doch ein Votum gegen den Treuhandvorstand ist da kaum noch zu erwarten.

Gekämpft wird beim Deal um die Stahlwerke mit allen Tricks — von allen Seiten. „Von unserer grundsätzlichen Entscheidung zugunsten der Riva-Gruppe“, so ließen etwa Mitarbeiter der Treuhand in der letzten Woche gezielt verbreiten, könne die Anstalt überhaupt „nicht mehr zurücktreten“. Diese Darstellung trifft gewiß nicht zu. Grundsätzlich könnten die Treuhand-Gewaltigen dem von der Hennigsdorfer Belegschaft favorisierten Angebot des deutschen Konsortiums unter Führung von Thyssen immer noch zustimmen — und zwar ohne negative rechtliche Folgen. Zu diesem Ergebnis kommt selbst das vom Treuhandvorstand in Auftrag gegebene Rechtsgutachten. Die Treuhand könnte sogar „bessere Angebote, die die Treuhand nach der Ausschreibungsfrist erreichen“, berücksichtigen, heißt es in dem der taz vorliegenden Gutachten. Sie müsse dann allerdings „allen bisher bekannten Interessenten gleiche Chancen einräumen und ein neues Bietverfahren durchführen. Auch mit einer derartigen Entscheidung sind jedenfalls keine nachteiligen Rechtsfolgen für die Treuhandanstalt verbunden.“

Im Klartext heißt das: Wenn die Treuhand glaubt, das von Thyssen & Co zuletzt vorgelegte Angebot sei außerhalb der Bietfrist erfolgt, könnte sie ein neues Verfahren ohne jedes Schadensersatzrisiko eröffnen. Ob es aber überhaupt eine Fristverletzung durch das Konsortium gegeben hat, ist heiß umstritten. Während die Konsortialvertreter von Präzisierungen ihres ursprünglichen Angebotes sprechen, kommen die Rechtsgutachter der Treuhand zu dem Ergebnis, daß es in einigen Punkten Änderungen, „nämlich Verbesserungen des ursprünglichen Angebots“ gegeben habe, die in der jetzigen Bietrunde „nicht berücksicht“ werden dürften. Die Treuhand hatte die Interessenten mit Schreiben vom 4.9.91 aufgefordert, ihre endgültigen Erwerbsabsichten bis spätestens zum 11. September mitzuteilen. Dieser Termin wurde von allen Bietern eingehalten. Am 19.9. trat die Treuhand in konkrete Verhandlungen mit der Riva-Gruppe. Am 8.10. wurde eine gemeinsame „Absichtserklärung“ verfaßt. Schon während der Verhandlungen mit Riva wandte sich Thyssen an die Treuhand und trug vor, diese habe das Angebot des Konsortiums nicht zutreffend beurteilt. Offenbar zeigte diese Kritik Wirkung, denn am 18.10. forderte die Treuhand alle Interessenten noch einmal per Fragebogen auf, ihre Angebote bis zum 25.10. zu präzisieren. Dieser Aufforderung kam das Konsortium am 24.10. nach. Riva weigerte sich dagegen, den Fragebogen zu beantworten. Man sah in der Nachfrage eine „Wiedereröffnung“ der Ausschreibung, die sich mit der Absichtserklärung vom 8.10., den Verkauf an Riva zu tätigen, nicht vertrage.

Ganz sauber agiert wird von keiner Seite

Daß die Riva-Gruppe der bei Ausschreibungen durchaus üblichen Bitte um Präzisierungen zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr nachkam, zeigt, wie sicher sich die Italiener schon waren, den Zuschlag zu bekommen. Aus der „Absichtserklärung“ selbst konnte Riva diese Sicherheit nicht erlangen, denn in Punkt zehn der Erklärung heißt es wörtlich: „Eine Verpflichtung zum Abschluß des vereinbarten Vertrages besteht auf keiner Seite.“ Die Bitte um Präzisierung durch die Treuhand hatte offiziell zum Ziel, die verschiedenen Offerten vergleichbarer zu machen. Im Rechtsgutachten wird dieses Verfahren als der Sache angemessen und auch im Hinblick auf die „Absichtserklärung“ zwischen Riva und Treuhand als „unbedenklich“ bezeichnet. Haben sich die italienischen Anbieter an der Präzisierung etwa deswegen nicht mehr beteiligt, weil es abseits vom Verfahren Versprechungen gegeben hat? Die Treuhand weist solche Unterstellungen mit Empörung zurück. In internen Papieren der Treuhand wird gar die deutsche Anbietergruppe selbst massiv verdächtigt: Die „Nachbesserungen“ des Konsortiums, so heißt es wörtlich in einem Papier, seien „offenbar auf eine Indiskretion zurückzuführen“. Das mag so sein, doch die coole Weigerung der Riva-Gruppe, sich an der Präzisierung zu beteiligen, könnte ebenfalls als Indiz für Indiskretionen gewertet werden.

Sauber agiert bei diesem Deal offenbar niemand. Schaut man sich die fortlaufenden „Präzisierungen“ durch das deutsche Konsortium an, dann kann man sich der Bewertung der Rechtsgutachter, die davon sprechen, daß die Konsortialvertreter das Angebot „nicht nur klargestellt, sondern geändert“ haben, nur anschließen. So wurde der garantierte Kaufpreis für beide Werke um 19 Mio. auf 110 Mio. DM angehoben — das sind exakt 8 Mio. DM mehr, als Riva bietet. Vor allem auf die Garantie zusätzlicher Investitionen und Arbeitsplätze, die das Konsortium im Verlauf des Novembers anbot, sprangen die Arbeitnehmervertreter an. Bis Ende 1993 will das Konsortium 2.350 Arbeitsplätze garantieren. Auf Dauer sollen es in Brandenburg und Hennigsdorf 1.700 sein. Bei den Dauerarbeitsplätzen liegen die Italiener mit 1.800 allerdings noch besser. Die IG Metall setzt dennoch auf das Konsortium, weil der deutschen Bietergemeinschaft mehr Engagement bei der Beschaffung von Ersatzarbeitsplätzen zugetraut wird.

Ob es zu diesem positiven Nebeneffekt tatsächlich kommt, steht dahin; wenn die Stahlkonjunktur zusammenbricht, helfen schließlich keine Garantieerklärungen. Der Konsortialführer Thyssen hat erst jüngst angekündigt, seine westdeutsche Stahlbelegschaft bis Ende 1992 um 2.000 (7%) Beschäftigte abbauen zu wollen. Zu Recht verweist die Treuhand darauf, daß das Interesse für die beiden Werke bei den westdeutschen Stahlkonzernen zunächst gegen Null tendierte. Erst als die Italiener die Bieterbühne betraten, steigerte sich das deutsche Interesse. Was mag der Grund sein für das plötzlich heiße Verlangen nach den alten Stahlhütten? „Des Rätsels Lösung“, so die 'Welt‘ dieser Tage, „könnte in einer Entscheidung des Europäischen Ministerrats vom 18. November liegen. Da wurde nämlich beschlossen, daß in Ostdeutschland bis einschließlich 1994 Subventionen für Stahl gezahlt werden dürfen, Investitionszuschüsse von 15 bis 23% sowie Investitionszulagen von 12Prozent.“ Die Stahlkocher selbst wollen nur möglichst viele ihrer alten Jobs gerettet und möglichst viele neue geschaffen sehen. Da bietet das Konsortium in der Tat mehr. Insofern liegt eine neue Bieterrunde in ihrem Interesse. Dazu kommen wird es aller Voraussicht nach jedoch nicht.

Die „hierdurch sehr wahrscheinlich zustande kommende Ausschaltung Rivas würde vor allem ausländische Bieter bei anderen Privatisierungsobjekten abschrecken“, fürchtet der Treuhandvorstand in einem internen Papier. Walter Jakobs