Test the East oder Wonach schmeckt Ostbier?

■ Besuch im »Riech- und Schmecklabor« in Potsdam-Rehbrücke: Ehemalige DDR-Bürger testen ostdeutsche Lebensmittel

Potsdam. Über Geschmack läßt sich seit gestern nicht mehr streiten. Ein Kaffee schmeckt seit Montag morgen nicht mehr einfach nur nach Kaffee, sondern stark, bitter, ranzig, schal, vollmundig, pappig, scharf und salzig. Zumindest für die Testpersonen im »ASAP Riech- und Schmecklabor« in Potsdam-Rehbrücke. In diesem Labor sollen in den kommenden Wochen hundert Personen aus der Ex-DDR feststellen, welcher Quark, welche Würste und welche Tomatenketchups besser schmecken — die aus den östlichen oder den westlichen Bundesländern oder die aus einem EG-Staat. Parallel dazu läuft ein gleicher Großversuch in einem Münchner Labor — mit westlichen Testpersonen.

Mit Hilfe eines anderen, langfristig angelegten Schnüffelkurses will Carla Kornelson, Leiterin des Potsdamer Labors, zusammen mit ihren Müncher Kollegen herausfinden, welche sensorischen — also mit den Sinnesorganen wahrnehmbaren — Unterschiede zwischen ost- und westdeutschen Konsumenten bestehen. Denn in der früheren DDR galt ein hoher Nährwert als wichtig, in der BRD ein niedriger. Letzteres »vorgeblich, um die Menschen vor Fettleibigkeit zu bewahren, in Wirklichkeit aber, um für weiteres Wachstum der Märkte trotz gleichbleibender Konsumentenzahl zu sorgen«, glaubt Prof. Egon P. Köster aus Utrecht, wissenschaftlicher Leiter des »Riech- und Schmecklabors« in München. Nun aber gestaltet der auf diese Weise in Ost und West so verschieden geprägte Geschmack die Vermarktung eines Lebensmittels auf dem neuen gesamtdeutschen Markt nicht einfach. Kornelson wird auch untersuchen, welche Geschmacksbevorzugungen angeboren und welche erworben sind und wie man sie beeinflussen kann. Dafür muß sie ein »deskriptives Panel« trainieren: Rund 20 Menschen mit guten Nasen und feinen Zungen.

Ein halbes Jahr lang, so ihre Planung, werden sich jene 20 Menschen zu einem Gruppengespräch treffen. Bei dieser originellen Art von »Stammtisch« muß jeder dann zum Beispiel voller Konzentration an drei Bechern Bier nippen und sich dann mit den anderen einigen, wie es denn schmeckt: würzig, herb, fruchtig, süß, bitter, hopfig, malzig, faulig, schwefelig oder aromatisch?

Bei Trainingskursen in Amerika und England fielen den Testern von 24 verschiedenen Biersorten an die 400 Begriffe und Assoziationen ein. Übrig blieben etwa 60 trennscharfe Kategorien, mit denen der Geschmack und Geruch eines Pils beschrieben werden kann. Dieser gewaltige Wortschatz ist jedoch nur dann von Wert, wenn alle Probanden unter jeder Eigenart dasselbe verstehen. Eine gemeinsame Semantik zu entwickeln, ist allerdings nicht einfach. Nur 18 Prozent aller Testpersonen waren in der Lage, aus eindeutigen Proben die Geschmacksrichtungen süß, sauer, salzig und bitter richtig zu unterscheiden — das ist das Ergebnis eines Geschmackstests mit 3.000 Engländern.

Wenn Kornelson die Stammtisch- Gruppe zu einem menschlichen Meßinstrument ausgebildet hat, fängt die eigentliche Arbeit jedoch erst an. Dann werden zehn ausgewählte Personen in den Kabinen des Potsdamer Instituts sitzen. An einer der Kabinenwände wird sich eine Klappe öffnet, und aus der Küche wird zum Beispiel ein Zuckerersatzstoff durchgereicht. Das Panel-Mitglied gibt seine Geschmacks-Werte in einen Computer ein, und der Zentralrechner rechnet die Werte aller zehn Personen statistisch aus. Die so entstandene Geschmackskurve des Süßstoffes, bei der auch Geschmacksparamenter wie »nachträglich süß« oder »anfänglich bitter« berücksichtigt werden, ist jetzt mit der Geschmackskurve von Zucker vergleichbar. Abweichungen sind sofort zu erkennen, der Hersteller kann sie mit chemischen und aromatischen Veränderungen korrigieren. Die Geschmackskurve von »gutem« Zuckerersatz ist dann von der Kurve des Originals so gut wie nicht mehr zu unterscheiden: Der Ersatz schmeckt wie Zucker.

Brandenburgs Landwirtschaftsminister Edwin Zimmermann fördert die Tests von brandenburgischen Produkten mit 50.000 Mark — eine Art Taschengeld für das Schmecklabor. Der Hintersinn des Ministers: Absatzförderung für die Erzeugnisse der hiesigen Landwirtschaft, »denn nur wenn man etwas über die Vorlieben der Konsumenten weiß, stellen sich Markterfolge für die heimischen Produkte ein.« Wenn ein neues Produkt nicht gleich auf der Konsumenten-Zunge zergeht und deshalb im Supermarkt-Regal stehen bleibt, hat der Hersteller möglicherweise einige 100.000 Mark zum Fenster herausgeworfen.

Mit der Finanzierung des Labors hätten sich die beiden Geldgeber Bund und Land schwer getan, berichtet Rüdiger Schrödter, Leiter der sensorischen Forschung im »Deutschen Institut für Ernährungsforschung«, dem das Riech- und Schmecklabor angegliedert ist. Die »Koordinierungs- und Abwicklungsstelle der Akademie der Wissenschaften« habe zwar rund eine halbe Million Mark für die Realisierung der Forschungseinrichtung bereitgestellt, aber weder Bund noch Land zahlten genügend Geld für den laufenden Betrieb. Noch sei unklar, wie er und Carla Kornelson ab Januar bezahlt werden, und Gehalt für einen Informatiker sei ohnehin nicht drin.

Von 100 Mark wird das »Riech- und Schmecklabor« etwa 40 Mark in die Produktforschung und nur 60 Mark in die Erforschung der menschlichen Geschmackswirren stecken werden. Für die sensorische Erforschung ihrer Lebensmittel sollen die Hersteller gefälligst selbst bezahlen, findet die Landesregierung. Das Pendant, das Geschmackslabor in München, ist denn auch ein reiner Privatbetrieb, dessen Aufträge von Marktforschungsinstituten kommen. Test the West, das war bisher marktgängiger als Test the East: Mit dem Fall der Mauer gibt es einen neuen — unbekannten — Markt. Dirk Wildt