Mit Kupons in die Marktwirtschaft

In der CSFR läuft die Privatisierung der Industrie an, doch das Interesse der Kleinaktionäre ist gering  ■ Aus Prag Sabine Herre

Für 35 Kronen sind sie seit Anfang Oktober in allen Postämtern der CSFR zu haben, die orangeroten Scheckhefte mit tschechoslowakischem Wappen. Sie bilden die Grundlage eines vollkommen neuen ökonomischen Experiments: Mit Hunderttausenden solcher „Kuponovy knizki“, den Kuponbüchern, will die Prager Regierung die marode Staatswirtschaft privatisieren.

Nachdem der Umbau des real-sozialistischen Wirtschaftssystems im März dieses Jahres mit der „kleinen Privatisierung“, der Versteigerung von Restaurants, Zeitungskiosken und Supermärkten, begonnen hatte, sollen mit dem Beginn des nächsten Jahres die „großen“ Industrie- und Dienstleistungsbetriebe verkauft werden. Auf der Angebotsliste stehen die unterschiedlichsten Unternehmen: von den Brauereien in Budweis über das Reisebüro Cedok bis zu den Skoda-Werken in Pilsen ist alles zu haben; allein in der ersten „Welle“ der Privatisierung sollen rund 1.500 Betriebe im Wert von 400 Milliarden Kronen (rund 23,5 Milliarden Mark) neue Besitzer finden.

Doch das Land ist nicht gerade reich. Bereits bei der kleinen Privatisierung war nach kurzer Zeit der Kapitalmangel der tschechoslowakischen Bevölkerung deutlich geworden. Kein Wunder, daß sich nicht nur der tschechoslowakische Finanzminister Vaclav Klaus fragte, woher das Geld für die großen Unternehmen kommen sollte. Mit einem Team inzwischen weltweit anerkannter Ökonomen entwickelte Klaus die „Kupon-Privatisierung“. Ihr Motto: Die Volkswirtschaft wird dem Volk geschenkt.

Das Prinzip ist simpel: Alle BürgerInnen können mit „Investitions- Kupons“ im Gesamtwert von 1.000 „Punkten“ Anteile an den in AGs umgewandelten Staatsbetrieben erwerben. Eine symbolische Zahlung von 1.000 Kronen (rund 60 Mark) berechtigt zum Aktienkauf, ein Betrag, der die Verwaltungskosten der Privatisierung decken soll. Durch Kupons können dann Aktien im Wert von rund 80.000 Kronen (4.700 Mark) gezeichnet werden. Alle Aktien haben einen nominalen Wert von 1.000 Kronen, ihr Kaufpreis beträgt „zwölf Punkte“. Dieser jedoch gilt nur in der ersten Runde der Privatisierung. Sollte das Interesse an einem Unternehmen so groß sein, daß die Nachfrage das Angebot übertrifft, steigt der Wert in den folgenden Runden. Interessieren sich wenige für den Betrieb, sinkt der Punktwert. Diejenigen Unternehmen, die keine Dividende versprechen und in die niemand investiert, müssen geschlossen werden.

Doch Kritik an dem Modell ist von konservativen Ökonomen zu hören, von denen einige zu den Mitstreitern des Finanzministers zählten. Sie sind der Ansicht, daß die Kupon-Methode zu sehr in den Mittelpunkt des Privatisierungsprozesses gerückt sei und andere Formen vernachlässigt würden.

Gefordert wird verstärkt der Verkauf an ausländische Unternehmen, da allein diese das notwendige Investitionskapital aufbringen könnten. Durch das „Verschenken“ des Staatsbesitzes erhöhe sich das Grundkapital der Betriebe nicht. Befürchtet wird zudem, daß die unerfahrenen Aktienbesitzer vor allem an der Ausschüttung von Dividenden, nicht aber an langfristigen Investitionen interessiert seien.

Die weite Streuung der Aktien verhindert nach Ansicht der Kritiker auch die rationale Kontrolle und Lenkung der Betriebe. Diese dürfte so in den Händen der „alten“, kommunistischen Kader bleiben. Doch gerade diese versuchen, die Kupon-Privatisierung in ihren Unternehmen zu blockieren. In den Ausschreibungen, die sie für die Ministerien erstellen müssen, ist oft nur ein Betriebsanteil von zehn Prozent für die Kupon-Privatisierung vorgesehen. Viele hoffen, daß ihr Unternehmen so weiterhin in Staatsbesitz bleibt; andere wollen ihre Position durch einen frühzeitigen Verkauf an ausländische Unternehmer sichern. Bekannt geworden ist inzwischen auch, daß Betriebsleitungen für Mitarbeiter die Kupon-Kosten übernehmen und sie auffordern, ihre „Punkte“ für das eigene Unternehmen zu reinvestieren.

Auf die Versuche, die Kupon-Privatiserung zu eigenen Vorteilen zu nutzen, hat Privatisierungsminister Tomas Jezek bereits im Frühsommer reagiert. Er forderte die Erarbeitung von alternativen Privatisierungsplänen; die Entscheidung, welches der Projekte verwirklicht werden solle, könne allein das Ministerium fällen. Um dafür Zeit zu gewinnen, müsse die Privatisierung um mindestens drei Monate verschoben werden — eine Forderung, die auch vom tschechoslowakischen Unternehmerverband unterstützt wurde. Finanzminister Klaus reagierte gereizt: Eine Verschiebung des Termins käme nicht in Frage, da die Bürger das Vertrauen nicht nur in die Kupons, sondern in die gesamten Wirtschaftsreformen verlieren würden. Zudem, so Klaus, rückten die Parlamentswahlen im kommenden Juni näher, die Kupon-Privatisierung würde im Wahlkampf unnötig politisiert. Vor den Parlamentswahlen muß ein Teil der Privatisierung jedoch noch aus einem anderen Grund abgeschlossen sein: Die derzeit zur Registrierung der Interessenten benutzten Computer werden dann für die Auszählung der Stimmen gebraucht.

Hinter der Auseinandersetzung des Finanzministers mit seinem Kabinettskollegen Jezek verbirgt sich ein Streit um die theoretischen Prinzipien der Umstrukturierung. Während Klaus glaubt, daß alles den „Kräften des freien Marktes“ überlassen werde sollte, möchte Jezek in den Prozeß steuernd eingreifen. Er befürwortet eine staatliche Zerschlagung der Monopole; Klaus hält dies für eine Aufgabe der Privatunternehmer.

Um die äußerst schwierige Taxierung des Marktwertes der tschechoslowakischen Betriebe durch die Ministerien umgehen zu können, argumentiert der Privatisierungsminister, habe man sich für die Kupon- Privatisierung entschieden.

Gefahr droht der Kuponprivatisierung jedoch auch von einer ganz anderen Seite: Einen Monat vor Beginn des Aktienverkaufs haben sich lediglich 110.000 Bürger registrieren lassen. Trotz eines enormen Werbeaufwandes rechnet niemand mehr damit, daß bis zum 1.Januar die erwarteten vier Millionen Kleinaktionäre erreicht werden. Ein Grund für das geringe Interesse ist, daß es an Informationen über die zum Kauf angebotenen Unternehmen mangelt. Aus diesem Grund vertrauen auch viele der Aktionäre ihre Kupons sogenannten „Investitionsfonds“ an, die diese für ihre Kunden anlegen. Doch auch hier stehen die zukünftigen Aktionäre vor schwierigen Entscheidungen: 44 solcher Fonds wurden bisher allein in der tschechischen Republik registriert, 90 weitere haben bereits Anträge eingereicht.