piwik no script img

Siegt doch die »deutsche Gründlichkeit«?

■ Im Bewerberrennen um Olympia 2000 liegt Berlin trotz aller Krisen leider auf Platz zwei hinter dem australischen Sidney

Berlin. Vage Hoffnung für die krisengeschüttelte Berliner Olympia GmbH unter Daume&Diepgen kommt aus dem Ausland. Denn die Konkurrenz kocht auch nur mit Wasser und gelegentlich mit heißer Luft: Im weltweiten Rennen der Bewerber um die Olympischen Spiele hält Berlin trotz aller nationalen Zerwürfnisse und Querelen hinter Sydney souverän Platz zwei vor Peking. Mailand, Manchester, Brasilia und Istanbul rangieren im Stand der Vorbereitungen deutlich unter ferner liefen und haben kaum angefangen, sich ernsthaft um Olympia 2000 zu bemühen. Es gibt bisher nur ein Maskottchen: Es ist der gelbe Berliner Olympia-Bär. Kein Koala und kein Känguruh aus Sydney, kein Panda oder Drache aus Peking sind in Sicht.

Am weitesten ist bisher Sidney vorangekommen, für viele auch der Favorit. Der Chef des Olympiabüros, Rod McGeoch, reist pausenlos um die Welt, um die IOC-Mitglieder jetzt schon einzeln kennenzulernen. Das längst fertige Logo zeigt die stilisierte Oper, das berühmte Fotomotiv der Hafenstadt, in den Farben der Olympischen Ringe und in der Maltechnik der australischen Ureinwohner. Es steht auch schon fest, daß etwa 27 Millionen Mark für die Kosten der Bewerbung eingesetzt werden. Sidney will bis 1993 85 Prozent aller Bauten fertig haben.

Der zuständige staatliche Ausschuß in Peking hat noch nicht mit Werbung begonnen. Der Bürgermeister der chinesischen Hauptstadt, Chen Xitong, gab allerdings am Sonntag offiziell die Bewerbung der Stadt bekannt. Ein vorläufiges Logo zeigt den Himmelstempel mit den Olympischen Ringen davor. Im Stadtbild weisen bisher allerdings nur einige große Poster auf Olympia 2000 hin. Chinas Sportminister Wu Shaozu meinte, Peking könne sich dank Asienspielen und Frauenfußball-WM schon jetzt mit seinen Sportanlagen mit Barcelona oder Atlanta, dem Gastgeber 1996, messen.

Mailand hat seine Olympiakarriere mit einem Spätstart begonnen. Kein Offizieller konnte auch nur ein günstiges Gelände für das Stadion oder das Olympische Dorf, den Sportpalast oder das Pressezentrum nennen. Ein Maskottchen gibt es nicht, der Werbeetat läßt sich noch nicht bemessen. An reinen Kosten werden, grob geschätzt, 2,85 Milliarden Mark angegeben. Infrastrukturkosten werden auf bis zu 27 Milliarden Mark hochgerechnet. Der ehemalige Fußballstar und heutige christdemokratische Abgeordnete Gianni Rivera spricht von einem »Eigentor«. Mailand fehle es an allem. Sympathisch für Berlin: Franco Ascani vom Komitee »Milanolimpica« teilte mit, daß die Bürger Mailands in einer Umfrage Berlin die größten Erfolgsaussichten gegeben haben.

In Brasilia, der futuristisch angelegten Hauptstadt Brasiliens, des höchstverschuldeten Landes der Dritten Welt, fehlt es vor allem an Geld, um die berechneten Kosten von rund fünf Milliarden Mark aufzubringen. Ein kritischer Faktor gegen Brasilia ist das Klima. Auf dem brasilianischen Hochplateau ist es von Juli bis Oktober extrem trocken. Ärzte warnten die Bevölkerung davor, bei diesem Klima Sport zu treiben. In der Stadt gibt es nur ein Fußballstadion und eine zur Zeit wegen Baufälligkeit gesperrte Sporthalle. Pluspunkt in der Reißbrettstadt: Es gibt genügend Platz für neue Olympiabauten. Die Werbung für Olympia 2000 hat noch nicht begonnen. Auch von sonstigen Vorbereitungen wurde bislang nichts bekannt.

Sehr weit entfernt von Olympia ist derzeit Istanbul. Es gibt keinerlei Werbung oder Logo oder gar einen Finanzetat. Die Austragung der Spiele scheint bisher nicht ernsthaft angestrebt zu werden, sondern ist wohl mehr ein innenpolitisches Prestigethema. Ministerpräsident Suleyman Demirel sagte kürzlich in seiner Regierungserklärung lediglich unverbindlich, die Türkei werde »alles unternehmen, um die Spiele ausrichten zu dürfen«. Er vermied jedoch jede Angabe über wirtschaftliche und finanzielle Hintergründe. Tatsache ist, daß alles neu gebaut werden müßte. Es gibt derzeit nur zwei Stadien mit Flutlichtanlagen in Izmir für 70.000 Zuschauer und in Istanbul für 35.000 Besucher. Die größte Halle des Landes faßt nur 3.000 Zuschauer, keine einzige Leichtathletikanlage besitzt Tartanbelag, es gibt nur Aschenbahnen.

Manchester geruhsam Zeit lassen. Die Werbungskampagne soll erst Anfang kommenden Jahres einsetzen. Dann erst wird auch das Maskottchen und Logo enthüllt. Für die Olympiawerbung sind zunächst immerhin fünf Millionen Pfund (15 Millionen Mark) bereitgestellt worden. Frank Smith, Exekutivdirektor der zuständigen Stelle in Manchester, bezeichnete die Chancen von Berlin als »nicht besser als die von Manchester«. Berlin habe international als Pluspunkt die Vereinigung Deutschlands anzuführen. Laut Smith wird viel davon abhängen, welchen Eindruck die vorgeschlagenen Sportstätten auf das IOC machen. Dabei könnte »die sagenhafte deutsche Tüchtigkeit und Gründlichkeit eine wichtige Rolle spielen«.

Am Beispiel der anderen gemessen, sieht es in Berlin nicht so rückständig aus. Unabhängig vom Wirbel durch den Rücktritt von Diepgens Geschäftsführer Lutz Grüttke fiel im politischen Raum die Entscheidung über den Bau von vier zentralen Sporthallen und die Gründung einer Bau- und Marketing GmbH. Auch der erhoffte Finanzrahmen steht mit 50 bis 60 Millionen Mark für die Bewerbung in etwa fest. Probleme gibt es weiterhin bei der Suche nach dem Grüttke-Nachfolger — um das Amt bemüht sich Ex-Regierungschef Walter Momper — sowie bei der Komplettierung des Aufsichtsrats der Olympia GmbH. Die skeptische Bundesregierung läßt sich mit der Einnahme ihrer Plätze immer noch Zeit. Auch die Begeisterung der Bevölkerung hält sich in Grenzen. Andere Probleme der Stadt haben ganz offensichtlich Vorrang. dpa

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen