: Die Poesie des Kachelofens
■ Über zwei Versuche, der Sinnlichkeit von Kohle sich zu nähern
Kohle ist nicht nur irgendein Brennstoff. Kohle ist altmodisch. Der Tagebau verwandelt Flachlandschaften in hügelige, schwarze Wüsten, die unsicheren Arbeitsplätze sind entweder schlecht bezahlt oder hochsubventioniert. Der Verbrauch von Kohle ist schwer umweltschädigend — und sinnlich. Ihr Staub fühlt sich kühl an und riecht noch nach Erde. Wind pfeift beim Anheizen durch den Ofen und der Anblick des lodernden Feuers verstärkt das Gefühl ausströmender Wärme.
Die Künstlerinnen Mireia Clotet und Maja Weyermann beschäftigen sich schon seit längerer Zeit unabhängig voneinader mit dem Rohstoff Braunkohle, den die zwei, die eine Spanierin, die andere aus der Schweiz stammend, seit ihrer Übersiedlung nach Berlin als eine den Alltag prägende Eigenart der Stadt kennenlernten. Arbeiten der beiden, die das Thema »Kohle« in verschiedenen Medien umkreisen, sind derzeit in der im Wedding gelegenen Hinterhofgalerie »2Garage2« zu sehen. Im Eingangsbereich werden Zeichnungen ausgestellt, den zweiten, größeren Raum nehmen zwei Installationen ein.
Die Zeichnungen Weyermanns sind assoziativ: sie umschreiben in abstrakten, düsteren Farbräumen die Stimmung, in die man angesichts der Jahrtausende währenden Entstehung von Kohle verfallen könnte. Als Gegenpol zu diesem eher unbestimmten und subjektiven Ausdruck arbeitet die Künstlerin bei ihrer Installation mit Versatzstücken der exakten Wissenschaft. 60 Reagenzgläser wurden in einer waagerechten Linie an der Stirnwand des zweiten Raumes befestigt. Die Glasröhrchen sind mit bläßlich schimmerndem Paraphin und sich dagegen in dünnen Schichten absetzender brauner Farbe gefüllt. Sie erscheinen auf den ersten Blick wie die Dokumentation einer eindeutig nachprüfbaren chemischen Versuchsreihe — und doch ist alles an ihnen unregelmäßig. Die Anzahl und die Breite der dunklen Farbringe variiert von Glas zu Glas ebenso wie der Abstand der einzelnen Reagenzgläser zueinander. Eine Systematik, die die Reihe einzuhalten vorgibt, ist nicht existent.
Die vermeintliche wissenschaftliche Ordnung entpuppt sich als Produkt künstlerischer Freiheit. Mal wirken die Gläser wie eine rätselhafte Partitur, mal wie das Alphabet einer unbekannten Zeichensprache. Weyermanns Installation stellt sich als bedeutungslos heraus, um erst durch die Abwesenheit von Bedeutung einen Sinn zu erhalten.
Demgegenüber sind die Arbeiten Clotets erzählerischer angelegt. Clotet setzt in ihren Zeichnungen auf die Präsenz der Brikettform und die damit verbundenen Implikationen. Dabei schwankt sie zwischen dunkler Poesie und politischem Inhalt. Bei dem Blatt Compressio dienen ihr Schraubzwingen und einzelne Briketts in verblüffend einfacher Kombination als Metapher für den Druck, der unter der Erde die Kohle entstehen läßt und der andererseits auf den in der Braunkohleindustrie Beschäftigten lastet.
Der sozialgeschichtliche Ansatz greift auch bei Clotets Installation, die die Künstlerin auf dem Boden des zweiten Raumes ausgebreitet hat. Die Struktur der Arbeit weist in religiöse Sphären: sie ist dreiteilig als auf gotische Flügelaltäre zurückgehendes Triptychon angelegt. Gleichzeitig nehmen die drei Teile das Aussehen der Mauerungstechnik Berliner Kachelöfen auf (»drei ganze, ein halber«). Sie setzen sich zusammen aus jeweils quadratischen Blöcken von Holz, Kohle und Zeitungspapier — den Dingen, die zumindest während der kalten Jahreszeit den in der Ecke stehenden Ofen in den Mittelpunkt des allgemeinen Interesses rücken.
Den Zug ins Pathetische allerdings, den das unerschöpfliche Thema Kohle mit all seinen Assoziationen beinhalten könnte, vermeiden Clotet wie Weyermann durch das ästhetisch reduzierte Äußere ihrer Arbeiten. Der hier auftretende Minimalismus wirkt Sentimentalitäten und allzu plakativen Botschaften entgegen, er läßt dem Besucher genügend Spielraum, auf die Angebote der beiden Künstlerinnen einzugehen und sich selbst einen Reim zu machen auf »Kohle«. Ulrich Cleving
Noch bis 14. 12. in der 2Garage2, Koloniestraße 10, mi. bis sa. 14-19 Uhr.
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