Bloß kein Streit im Familienbetrieb

■ »Gibt es die Wiedervereinigung in der Kultur?« — Ein Abend in der Akademie der Künste Ost

Vielleicht lag es am Projektor. Godards französischer Fernsehfilm Allemagne Neuf Zéro handelt vom Verschwinden der DDR und der Einsamkeit Ostdeutschlands, soweit bei Godard von Handeln die Rede sein kann. Vor allem aber zeigt er die Schönheit des Landes, von Berlin, Weimar und Stralsund, die Schönheit des »Salons der Frau«, der Braunkohlebagger. Den Trabi rückt er ins Bild, als sei es ein Rolls-Royce: das Standardblau als Luxusfarbe. Am Montag abend, auf der Leinwand des Konrad-Wolf- Saals, blieb nur die Tristesse. Gesichter im Schatten, halbdunkle Innenräume, schmutzige Landschaft. Als habe jemand einen Graufilter vor die Linse geschoben.

»Intellektueller Kitsch« schimpft Günter Grass hinterher. Fünfzehn Herren, unter ihnen Rolf Hochhuth, Klaus Staeck, Christoph Hein, Grass, Hermlin, Egon Monk, Heinrich Fink und Thomas Langhoff, hatten sich auf dem Podium plaziert, zur Diskussion über die Frage: »Gibt es die Wiedervereinigung in der Kultur?« Heiner Müller entschuldigte zunächst die fehlende Weiblichkeit: »Auch der Chauvinismus ist eine Altlast, die wir noch abtragen müssen.« und informierte anschließend über den letzten Stand in Sachen Akademie: Der Kultursenator will zum 1. April 92 endgültig den Geldhahn abdrehen, zum 9. Dezember sind Neuwahlen angesetzt, zwecks Reduzierung der Mitgliederschaft.

Der Rest war Solidarität. Der Diskussionsabend entpuppte sich als Veranstaltung des Akademiepräsidiums in eigener Sache. Die geladenenen Westler waren allesamt Sympathisanten der Ostakademie, selbst Egon Monk von der Filmabteilung des Hauses am Hanseatenweg bezichtigte sein eigenes Haus der Verschleppung des Problems. Wobei das Problem selbst gar nicht zur Sprache kam: Die Tatsache nämlich, daß die Akademie Ost sich im Lauf ihrer DDR-Geschichte nicht selten zum Büttel der staatlichen Kulturpolitik gemacht hat, eine säuberliche Unterscheidung in Täter und Opfer nicht möglich ist. Und daß die Westakademie nicht einfach blind die Ostmitglieder adoptieren kann, bevor über die Verstrickung der Kulturinstitution in die sanfte Diktatur der DDR nicht geredet wurde. Günter Grass, der vor zwei Jahren wegen der windelweichen Haltung in Sachen Rushdie der Westakademie den Rücken gekehrt hatte, machte den Vorschlag, die Westakademie solle doch ihren Fünf-Millionen-Etat 92 für den Einigungsprozeß mit den Ostkollegen zur Verfügung stellen, als Bringeschuld und Lastenausgleich sozusagen. Diskutiert wurde darüber nicht, nur beifällig genickt. Und Hochhuth wollte gar über das Schicksal des Osthauses eine Abstimmung im Saal durchführen: Kultur als Mehrheitsvotum.

Es kam noch dicker. Stephan Hermlin durfte die aktuelle Stasi-Debatte unwidersprochen mit Denunziationen während der NS-Zeit vergleichen, Thomas Langhoff meinte wörtlich: »Ich will nicht aufklären«, und Günter Grass beschimpfte Biermann und, ohne ihn beim Namen zu nennen, Jürgen Fuchs: »Es hat nie einen grausameren und absurderen Sieg eines Staatssicherheitsdienstes gegeben. Jede Auslassung nimmt man jetzt als vollgültiges Dokument, und jeder Beschuldigte muß den Nachweis seiner Unschuld erbringen. Die Opfer machen sich nachträglich zum Büttel der Stasi.« Beifall. »Da gibt es einen Wolf Großinquisitor, der in Verkennung der Tatsachen mit den Unterlagen des Systems arbeitet, als habe er nicht Zeit gehabt, es zu durchschauen. Für wen arbeitet er, wem schadet er?« Noch mehr Beifall. Und Heiner Müller assistierte mit der Anekdote von Stalin und Marschall Schukow. Stalin habe ihn einmal zu sich rufen lassen; er habe da eine Akte, derzufolge Schukow ein Spion sei. Er, Stalin, glaube das nicht, empfehle ihm aber den Rückzug aus der Politik. »Das ist der Grad von Aktengläubigkeit, der hier zur Zeit herrscht.«

Daß auch über die Manipulation, das Vernichten und Fälschen von Stasi-Akten geredet und gestritten werden muß, ist zwar keine Frage. Aber wie soll das anders möglich sein als über das Offenlegen derselben? Wie soll gestritten werden, solange jeder, der etwas öffentlich macht, der Denunziation bezichtigt wird? Aber in der Akademie kann nicht sein, was nicht sein darf: Streit. An diesem Montagabend jedenfalls präsentierte sie sich einmal mehr als Familienbetrieb. Kollektives Wir dominierte die Grammatik der Sätze, die Podiumsteilnehmer wurden nicht einmal vorgestellt: Man kennt sich halt — oder hat nichts zu sagen. Eine fast schon programmatische Attitüde: daß man so ungern beim Namen nennt. Christiane Peitz