Krampf der Zwanziger

■ Das Ratibor-Theater spielt »Ich hab noch einen Koffer in Berlin. Aber wo?«

Revuette« nannte Friedrich Hollaender in den zwanziger Jahren eine neue Form des Kabaretts: die Kabarett-Revue, die das traditionelle Nummernprogramm mit einer Geschichte, einer dramaturgischen Klammer, versah. An einer Revuette mit Musik von Hollaender versucht sich auch das wiedereröffnete Ratibor-Theater: Ich hab noch einen Koffer in Berlin. Aber wo? von Wolfram Haack.

Die Paare Karin und Micky sowie Uschi und Dr. Praeller spannen jeweils einen roten Faden durch die Story, um ab Mitte dann einen gemeinsamen zu häkeln. Karin ist die Enkelin von Marlene Dietrich. Sie steht in regelmäßigem Kontakt zu ihrer berühmten Großmama und erhält eines Tages von ihr den Auftrag, einen vergessenen Koffer aufzuspüren und nach Paris zu transportieren. Zusammen mit ihrem Freund Micky, einem Galeristen aus der Ex-DDR, macht sie sich auf die Suche. Dr. Praeller ist ein unbedeutendes Mitglied des Bonner Bundestages. Seine ehrgeizige Sekretärin und Geliebte Uschi Sonja Ziemann (harr, harr) überredet ihn zu einer Reise nach Berlin, um dort, in der zukünftigen Bundeshauptstadt, Grundsteine für eine große Karriere zu legen. So weit, so gut.

Was folgt, ist kaum mehr zu beschreiben: Karin und Uschi lernen sich bei einer Prügelei zwischen einem Ausländer und Skins kennen, gehen tanzen und treffen ausgerechnet einen der Neonazis von vorher wieder. Uschi, inzwischen Gattin des müden Dr. Praeller, verliebt sich prompt in Skin-Lutz und startet ein Verhältnis. Karin und Micky sind ebenfalls verheiratet, Oma Marlene haben sie vorher um viel Geld geprellt. Pause.

Ein paar Jahre vergehen. Karin, inzwischen zur erfolgreichen Psychoanalytikerin mit eigenem Haus am Kollwitzplatz mutiert, hat sich auf Rechtsradikale spezialisiert. Den Geliebten von Uschi konnte sie »heilen«, er ist jetzt Leiter eines Fitneßstudios. Dr. Praeller und Micky lernen sich nun auch endlich kennen und klagen einander ihr Leid: Micky möchte seine Frau beerben, Dr. Praeller den Rivalen loswerden.

Gesagt, getan: der jeweils andere ermordet den lästigen Widersacher und verschafft so dem Hauptverdächtigen ein Alibi. Und da Micky es nun auf Uschi abgesehen hat, stirbt auch noch Dr. Praeller — Friede, Freude, Kinderglück. Und das alles mit sozialkritischem Anspruch und zur Musik von Friedrich Hollaender und der Dietrich!

Eine kranke Geschichte wie diese ist nur dann nicht mehr wichtig, wenn sie durch anderes wettgemacht wird — grandiose Schauspielerei zum Beispiel oder wohlklingender Gesang. Beides läßt diese Produktion vermissen. Statt Sprechtechnik Gekreische; dazu krampfhaft bemühte und oft unsaubere Singerei (einzige Ausnahme: Tilmann Schladebach als Micky). Affektiertes Over-Acting kann witzig oder bitterböse sein — in diesem speziellen Fall zerrt es an den Nerven der passiven Delinquenten.

»Angriffsfreudigkeit und Kampflust« sollen — laut Programmheft — die Revuetten von Friedrich Hollaender ausgemacht haben, als »packend scharf und aufreizend« sind sie beschrieben worden. Die neue Produktion des Ratibor-Theaters (Regie: Harald Klenk), die den Mythos der goldenen zwanziger Jahre demontieren möchte, langweilt durch Platitüden, ewige Umbaupausen und schlechte Kopien der großen Vorbilder. Wo das gleiche draufsteht, muß eben noch lange nicht das gleiche drin sein. Anja Poschen

»Ich hab noch einen Koffer in Berlin. Aber wo?« im Ratibor-Theater, Cuvrystraße 20, Mi bis So 20.30 Uhr