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Die Leiden der Leipziger Ordnungshüter

■ Warum die Polizei von allen guten Geistern verlassen ist und regelmäßig immer zu spät kommt

Leipzig, im November — Der Leipziger Kripo-Chef ist ein höflicher Mensch und bestimmt ein treusorgender Familienvater. Mit den hartgesottenen Burschen, die man uns im TV-Tatort präsentiert, hat er wirklich nichts gemein. Seit zwanzig Jahren sitzt er schon in dem verrufenen Gemäuer der Leipziger Polizei (kürzlich entdeckte man dort die Hinrichtungsstätte der DDR), und das Stasi-Outing der Altvorderen katapultierte ihn unverhofft (weil reine Weste) an die Spitze seines Ermittlungsstabes. So sitzt er in seinem neuen, schlechtbelüfteten, linoleumverkleideten Büro und schwitzt. Überheizt ist der Raum, klagt er und rückt das sehr breite Ende seiner buntgewürfelten Krawatte zurecht. Er leidet. Schon seit geraumer Zeit landet sein Name regelmäßig in den Schlagzeilen der hiesigen Presse. Selbst das Ex-SED-Bezirksblatt, dessen langjähriger Abonnent er ist, zieht seine Standesehre in Zweifel. Und nicht nur seine. 500 Schicksalsgenossen in der Stadt sind gleichfalls betroffen. Als müsse er Intimes aus seiner Kaderakte verlesen, zitiert er die gedruckten Beleidigungen, die ihm derzeit das Leben so schwer machen: Rechtslastigkeit — kaum bringt er dies über die Lippen, Unfähigkeit, Unsichtbarkeit.

Seit Hoyerswerda ist ihm die Öffentlichkeit ein Rätsel, und seit den gewalttätigen Überfällen rechter marodierender Horden auf linke Hausbesetzer vermeint er, seine Stadt nicht mehr zu kennen. Und das Schlimmste: Seinen Kopf — namentlich erwähnt in aller Öffentlichkeit — soll er auch noch dafür hinhalten.

Er leidet. Und mit ihm in seinem überhitzten Büro sein Kollege von der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit, auch er ein höflicher Mensch und nicht minder sorgender Familienvater. Über die sehr verehrten Damen und Herren Medienvertreter, die sich um ihren Tisch drängen, ergießt sich eine beleidigte Rede. Es sei doch wohl völlig normal, daß die Polizei quasi immer erst als letzte am Tatort sei. Überhaupt könne sie doch erst dann in Erscheinung treten, wenn etwas passiert sei, und nicht vorher. Denn schließlich verfüge man noch nicht über prophetische Gaben. Einen Mord könne man beispielsweise nur dann kriminaltechnisch behandeln, wenn er sich ereignet habe. Der Pressesprecher wagt nach dieser grundsätzlichen Einführung in die polizeiliche Logistik einen weiteren Exkurs zum Thema: Präventivmaßnahmen und wann sie einzuleiten wären. Die öffentliche Sicherheit sei immer dann gefährdet, wenn bestimmte gewaltbereite soziale Gruppierungen sich unvorbereitet treffen, ob Hooligans, Skins oder Autonome. Die Namen kommen ihm nur schwer über die Lippen. Und die würden sich in Leipzig eigentlich immer ohne Anmeldung treffen. Seine eigene Logik scheint ihn zu überraschen.

Die verbeamteten Familienväter, denen die Hitze in ihrem Büro, dessen Fenster sich nicht öffnen lassen, zu schaffen macht, sind regelrecht glücklich über die unverhofften Zuhörer. Man reicht Kaffee, schwarz. Die verständnisvoll Nickenden lauschen den Erzählungen vom Leiden der beiden netten Herren. Dem Leiden an der Umzingelung durch nichtüberschaubare jugendliche Banden, dem Leiden an der öffentlichen Schmähung, dem Leiden am Verlust der alten Ordnung. Und, das wissen sie genau: Der Bürger wird es ihnen nicht danken, daß sie sich schon seit Monaten durch das dickleibige Strafgesetzbuch quälen. Nana Brink

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