Vom Nachttisch geräumt: Zettelkasten

Die Biographie der Familie Mann gehört zu den Büchern, auf deren Lektüre ich mich seit Jahrzehnten freue. Marianne Krüll hat jetzt die erste vorgelegt. Vierhundertsiebzig Seiten von Heinrichs und Thomas' Großeltern mütterlicherseits bis zu Frido, dem geliebten Enkel Thomas Manns. Es hätte ein Querschnitt durch die hundert ereignisreichsten Jahre deutscher Geschichte werden können oder das Psychogramm einer der interessantesten Familien europäischer Geistesgeschichte, statt dessen ist es eine Art Klippschule für Therapeuten geworden. Hochbrisante Zitate, unterbrochen von Marianne Krülls hausbackenen Ratschlägen. Sie weiß immer, daß ein wenig Verständnis, ein kleines Entgegenkommen das Schlimmste verhütet hätte. Das Schlimmste, das steht für sie fest, ist der Selbstmord. Rührend.

Thomas Manns Vater hat sich umgebracht, seine beiden Schwestern haben sich umgebracht, zwei seiner Söhne haben sich umgebracht. Frau Krüll stellt die Schuldfrage. Darüber ist sie gestolpert. Sie bringt einen Großteil der zentralen Zitate, sie weist auf Parallelen zwischen Leben und Werk hin. Auch wer die Manns gerne verfolgt hat, wird hier den einen oder anderen Fund machen. Aber begraben in einem Wust von belanglosen Verdoppelungen, von enervierenden Wiederholungen und versteckt zwischen den Liebet-einander-Aufrufen der sichtlich überforderten Autorin. Stand ihr keine Lektorin bei? Gibt es keine Rotstifte in der Zürcher Hölderlinstraße? Hat ihr niemand den Unterschied zwischen einem Zettelkasten und einem Buch erklärt? Rhetorische Fragen. Jeder, der das Buch gelesen hat, kennt die Antworten: nein, nein, nein. Schade.

Marianne Krüll: Im Netz der Zauberer — Eine andere Geschichte der Familie Mann. Arche-Verlag, 475 S., 100 S/W-Abbildungen, 68 DM