Vom Nachttisch geräumt: Auf Leichenbergen

Auch wenn die taz nicht überleben sollte, ein paar hervorragenden Autoren war sie ein Forum, und sie wird mit ihnen erinnert werden. Gabriele Goettles Blick auf die Deutschen Sitten fand lange Jahre nur in der taz ein aufmerksames Publikum. Maria Neef-Uthoffs so ganz andere Schreibweise war auch nur in der taz möglich.

Letztere arbeitete von 1981 bis zu ihrem Krebstod 1990 in der Frauenredaktion von Deutschlands interessantester Tageszeitung. Einige ihrer Artikel sind jetzt in einem Buch zugänglich. Ihre ehemaligen Kolleginnen Helga Lukoschat und Gunhild Schöller haben die Texte ausgesucht, und ihre Freundin Uta Ruge hat ein kurzes, bewegendes Nachwort dazu geschrieben.

Maria Neef-Uthoffs Artikel waren oft Anlaß für heftige Auseinandersetzungen in der Redaktion und auf den Leserbriefseiten. Ihr Besuch im September 1984 bei einem Manöver der Bundeswehr — Feindberührung — war ein typischer Mariascher Faux pas. Mitten in der Hochzeit der Friedensbewegung ein Besuch bei Beelzebub persönlich, und dann nicht als Kundschafter zurückkommen und aufklären über die Infamie des Gegners, sondern von nichts berichten als den kleinen Irritationen, dem Charme der fremden Welt: „Das muß jeden verändern. Die Disziplin, die Regeln, der Gehorsam, die geforderte Höflichkeit... Jeder soll jeden grüßen. Der untere immer den oberen zuerst. Ich konnte Höflichkeit noch nie leiden. Aber hier habe ich gemerkt, wie wichtig sie sein kann. Sie ist ein Stückchen Niemandsland zwischen zwei abgegrenzten Personen. Solange man sich in diesem Land befindet, kann man ruhig und angstfrei miteinander verkehren.“ Das war kein Bericht über den Klassenfeind, sondern eine Aufforderung an die eigenen Reihen, Kritik an der unflätigen Nähe, der distanzlosen Anmacherei des alternativen Milieus ihres Arbeitsplatzes, der taz. Am beeindruckendsten ein Text, der noch nicht in der taz stand. Verbotene Fragen fand sich im Nachlaß. Es ist eine der besten Schilderungen vom Aufwachsen in einer Nazi-Familie im Adenauer-Staat. Ganz konzentriert auf die Familien-Trias: Vater, Mutter, Kind. „An unseren Kinderschuhen klebte noch das Blut der Ermordeten. Die von unseren Eltern ermordet wurden. Alle Menschen meiner Kindheit hatten damit etwas zu tun. Alle waren erwachsen. Über niemanden weiß ich etwas. Als wir geboren wurden, waren die Leichenberge gerade weggeschafft.“

Verbotene Fragen gehört in jede Anthologie deutscher Nachkriegsprosa. Hier stimmt alles. Wo nicht, stimmt es noch besser. Zum Beispiel das falsche Tempus im zweiten der eben zitierten Sätze. Das Töten war noch so nah, daß Maria Neef-Uthoff recht hatte, es nicht ins Plusquamperfekt abzuschieben. Es gibt auch wunderbar verunglückte Formulierungen, deren Mißklang späteren Generationen noch klarmachen kann, wie schwer es ist, zu begreifen, zu akzeptieren, zu formulieren, daß die geliebten Schutzengel der frühen Kindheit an der Niedermetzelung der Menschheit Gefallen fanden; daß die eigene Zärtlichkeit sadistischen Verbrechern galt.

Maria Neef-Uthoff: Jetzt möchte ich schnell an was Schönes denken. Luchterhand, 205 S., 26 DM