PRESS-SCHLAG
: Garri ist da!

■ Schachweltmeister Garri Kasparow schaut dieser Tage beim FIDE-Kongreß in Berlin nach dem Rechten

Garri ist da! Am Montagmorgen ist Garri Kasparow, der Weltmeister und „beste Schachspieler aller Zeiten“ in Berlin eingetrudelt, um beim Kongreß des Weltschachbundes diese Woche dabei zu sein. Und natürlich auch ein bißchen, um aufzupassen, daß die angejahrten Funktionäre nichts über seinen superklugen Kopf hinweg entscheiden.

Sein größtes Problem hat er bereits gelöst: Die marokkanische Hauptstadt Rabat hat am Montag ihre Bewerbung zurückgezogen, Kasparows Titelverteidigung 1993 auszurichten. Somit kann das 28jährige Genie nun, wie gewünscht, in Los Angeles um 5,625 Millionen Schweizer Fränkli Figuren übers Brett jonglieren. Da ist es kein Wunder, daß Garri gute Laune hat. Beim Pressetermin im Ostberliner Domhotel starrt er zwar zu Beginn noch unbeteiligt nach einem imaginären Punkt an der Decke, doch irgendwann fängt er dann an zu grinsen, und von diesem Moment an gibt es kein Halten mehr. Ladies and Gentleman, die Garri- Kasparow-Show!

Garri steigt ein als Politiker, der den Glauben an eine Zukunft der Sowjetunion schon lange aufgegeben hat: „Ich war von Anfang an ein Verfechter der Sache der baltischen Staaten“, sagt er, auf deren Aufnahmeantrag in den Weltschachverband FIDE angesprochen.

In Richtung des neben ihm thronenden philippinischen Präsidenten der FIDE, Florencio Campomanes, spricht der Weltmeister die Hoffnung aus, diese Aufnahme möge zügig und problemlos ablaufen, so daß die neuen Mitglieder bereits bei der Schach-Olympiade in Manila im Juni aufs Schachfeld einlaufen können.

Kasparow selbst wird dort „nur unter der Flagge des russischen Teams spielen, dem ich mich zugehörig fühle“. Bei dieser Aussage legt er sein Kinn in beide Hände und kratzt sich am Superhirn. „Meine Sprache ist Russisch, ich bin russisch erzogen worden, ich glaube nicht, daß mir eine andere Wahl bleibt.“ Garri denkt aber auch über den nächsten Zug hinaus: „Meine Vision ist so eine Art russischsprechender Commonwealth.“

Wenn er redet, fuchtelt er mit den Händen, nicht aufgeregt, eher harmonisch, läßt die Fingerspitzen zusammenkommen, wenn es gilt, eine Aussage mittels Körpersprache abzurunden oder zu bekräftigen. Garri spricht nicht, Garri doziert, aber er lacht auch mitten im schönsten Monolog unvermittelt los, wenn ihn etwas belustigt.

Garri ist auch Diplomat. Mit dem archetypischen Funktionär Campomanes tuschelt und schäkert er sogar, obgleich die beiden eigentlich nicht als dicke Kumpels gelten. „Er hat mir die Worte buchstäblich aus dem Mund genommen“, grinst auch der Philippino mit, um vorzuzeigen, wie gut sich im Schachclan Pate und Vorzeigefigur verstehen.

Am besten ist der kluge Garri mit den leicht angegrauten Hinterkopfhaaren aber als Entertainer. Der Jungspund Gata Kamski, ein zukünftiger Garri-pretender möglicherweise, hat den Größten neulich in Paris herausgefordert. „I challenge you“, habe der geschrien und ein Spiel um eine Million Dollar haben wollen. Garri habe ihm nicht einmal eine Antwort gegeben. Grund: „Der hatte keine Bankgarantie für die Million.“ Und über das ausgestreute Gerücht, er habe gar versucht, Kamski zu vergiften, kann Garri nur noch grinsen. Hätte er es getan, wäre er als totaler Narr dagestanden, sagt er, weil, wenn schon, er den Iwantschuk hätte vergiften müssen, und nicht diesen Kamski.

Während im Plenum noch um diese, gewiß hochwichtige Angelegenheit debattiert wird, hat Garri offensichtlich jetzt genug geplaudert, lacht und steht auf. Die Show ist zu Ende, während der Abspann läuft, kann Campomanes ihm gerade noch seine Zimmernummer zuflüstern. „Ich wußte gar nicht, daß Garri jetzt noch eine Verabredung hat“, wird der schmächtige Präsident, der offensichtlich noch was von ihm wollte, wenig später im Aufzug verwundert und etwas unwirsch den Kopf schütteln. Doch Garri ist schon weg. Peter Unfried