Der Funktionär kickt noch selbst

■ Jahreshauptversammlung der „Vereinigung der Vertragsfußballspieler“ (vdv)/ 75 Prozent der Fußballprofis sind bereits Mitglieder/ Die vdv will künftig die Transfervermittlung übernehmen

Frankfurt/Main (taz) — Die Jahreshauptversammlung einer Gewerkschaft stellt man sich üblicherweise anders vor. Im Frankfurter Marriott-Hotel erinnern die versammelten Profifußballer eher an den Arbeitskreis junger Unternehmer. Nun bezeichnet sich die Vereinigung der Vertragsfußballspieler (vdv) bewußt auch nicht als Gewerkschaft im traditionellen Sinn. Was jedoch ihre Inhalte und Forderungen angeht — da kann noch so mancher sozialverträgliche Prozeßhansel vom DGB etwas dazulernen.

Selbstbewußt zogen die Profikicker am Montag Bilanz: Seit ihren belächelten Anfängen im Juni 1987 hat die Vereinigung mittlerweile einen Organisationsgrad von 75 Prozent aller 820 Vertragsfußballer erreicht. Jüngstes Mitglied ist im stolzen Alter von 37 Jahren Uli Stein, Torwart und Mannschaftskapitän von Herbstmeister Eintracht Frankfurt.

Wieviel „im argen liegt“, so Walter Junghans vom Zweitligisten Hertha BSC, zeigt die Kärrnerarbeit von vdv-Anwalt Horst Kletke. In unzähligen Verhandlungen vor mehreren Arbeitsgerichten mußte den Vereinen klargemacht werden, daß Lizenzspieler Anspruch auf Urlaubsentgelt haben. Die Fußballamateure des DFB hatten darin bisher kein Problem gesehen.

Das zentrale Problem für die Fußballer ist der Dauerbrenner Transferpraxis. Hohe Ablösesummen und dubiose Spielervermittler degradieren die Kicker zu einer Ware. Sogenannte Spielerberater kassieren derzeit mit Vermittlungsprovisionen Millionen. Die vdv will mit einem neuen Transferkonzept diesen illegalen Machenschaften ein Ende bereiten. Sie fordert eine zentrale Vermittlungsstelle, deren Ziel nicht die Profitmaximierung ist.

Wie nicht anders zu erwarten, sieht der DFB hier mal wieder keinen Handlungsbedarf. Denn auf dem Papier besitzt er selbst die Lizenz für Transfervermittlung. Die ist aber „so lebendig wie ein Friedhof“, wie es Stefan Lottermann, vdv-Präsidiumsmitglied, formuliert. Deshalb haben die organisierten Spieler selbst eine Lizenz bei der Bundesanstalt für Arbeit (BfA) für eine Transferstelle beantragt. Eventuelle Drohungen des DFB schrecken sie dabei nicht: „Wir haben genügend Know- how, um eine Vermittlungsstelle selbst aufzuziehen, die auch von den Vereinen anerkannt wird. Wir haben es nicht nötig, dem DFB hinterherzulaufen.“

Die Namen der vdv-Spitze lesen sich wie ein Who's who des mündigen Spielers. Das Präsidium bilden die drei Ex-Profis Benno Möhlmann, Karl Allgöwer und Stefan Lottermann. Im neu konstituierten Beratenden Ausschuß reicht die Bandbreite von Ewald Lienen (Duisburg) über Tobias Homp (Homburg), Bodo Illgner (Köln) bis hin zur Primadonna der Bundesliga, Andreas Möller (Frankfurt). Hier kickt der Funktionär noch selbst. Dementsprechend praxisnah sind auch die Vorstellungen, wenn die vdv etwa Mitspracherecht bei den Verhandlungen um die Fernsehgelder fordert. „Uns geht es nicht darum, daß einige Topverdiener noch mehr verdienen sollen“, so Stefan Lottermann. „Vielmehr stellen wir uns eine anteilige Mittelverwendung im Sinne einer gemeinsam getragenen Altersversorgung für Fußballprofis (Sozialwerk) vor. So wie sie seit kurzem von der vdv für ihre Mitglieder, aber nicht von DFB und Vereinen für Lizenzspieler angeboten wird.“

Es ist bezeichnend für den Erfolg der vdv, daß besonders viele Zweitligaspieler an der Versammlung teilnahmen. Für sie ist eine Vertretung besonders wichtig, da sie sich das vereinsinterne Chaos nicht mit hohen Gehältern versüßen können. „Da gibt es Vereine“, erzählt Tobias Homp, „die nach einem verlorenen Spiel Abmahnungen an die Mannschaft wegen schlechter Leistung verteilen! Das ist arbeitsrechtlich überhaupt nicht möglich. Doch welcher junge Spieler weiß das schon.“ In solchen Fällen des Fußballalltags tritt die vdv in Aktion, wenn ein Mitglied an sie herantritt. Und bisher sind sie aus jedem Rechtsstreit als Sieger hervorgegangen.

Genau so gewerkschaftsuntypisch wie der Abend begonnen hatte, endete er auch. Statt sich minutenlang Grußadressen von SPD-Ortsvereinen anhören zu müssen, wurde das Büffet eröffnet — von Herbert Widmayer, der als erster Trainer der Bundesliga 1963 beim 1. FC Nürnberg entlassen wurde. Auch Stimmungslieder wie „Brüder zur Sonne, zur Freiheit...“ sind in diesen Kreisen eher unüblich. Unter Umgehung sämtlicher Stamokaptheorien einigte sich die bunte Runde schließlich ganz solidarisch darauf: „Deutscher Pokalsieger 1992 wird Hannover 96.“ Matthias Kittmann