„Freut euch nicht zu früh!“

Palästinenser in den besetzten Gebieten verfolgen Nahostkonferenz mit Skepsis/ Politische Auseinandersetzung über den Sinn einer Beteiligung wird schärfer  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

Während ihre Delegation für eine Fortsetzung der Nahost-Verhandlungen in Washington auf die Israelis wartet, diskutieren die Palästinenser in den besetzten Gebieten, was ihre Lage „vor Madrid“ wohl von der jetzigen unterscheidet. Die Euphorie aus der Zeit der Eröffnungskonferenz ist längst verflogen. Nach der Freude über den Medienerfolg, den die palästinensische Delegation in der spanischen Hauptstadt für sich verbuchen konnte, ist Ernüchterung eingetreten. Ein Grund dafür ist der sachliche Bericht, den die Sprecher der Palästinenser den von ihnen Vertretenen nach der ersten Runde erstatteten. „Freut euch nicht zu früh“, warnte der Leiter der Delegation, Haider Abdel Schafi, während seines triumphalen Empfangs in Gaza, „es ist noch lange nicht Zeit für Feste. Wir haben eine langwierige und schwierige Arbeit vor uns.“

Das tägliche Leben unter der Besatzungsmacht gibt ohnehin keinen Grund zur Freude. Auf dem Rückweg von ihren teilweise gar nicht so spontanen Demonstrationen, auf denen sie mit Ölzweigen in den Händen für Frieden mit Israel auf die Straße gegangen waren, mußten die Bewohner der besetzten Gebiete in vielen Gegenden an den Baustellen neu gegründeter Siedlungen vorbei. Die palästinensischen Gefangenen bleiben interniert, die tägliche Schikane durch die Besatzungsarmee geht weiter, und die wirtschaftliche Notlage hält an.

Nichts deutet auf den vielbeschworenen Beginn einer „neuen Epoche“ hin. Im Gegenteil: Die Bedingungen, unter denen die Palästinenser in die Verhandlungen hineingezwungen wurden, stellen sich als noch katastrophaler heraus, als es von Skeptikern vorausgesagt wurde. Die politische Konfusion nimmt zu. Die Gegner des „Liquidationsprozesses“, wie sie die Nahost-Verhandlungen polemisch nennen, geraten in einen immer schärferen Gegensatz zu den Repräsentanten der Palästinenser in den Verhandlungen. Gerade unter den Intellektuellen mehren sich die Stimmen, die behaupten, man habe sich in eine „israelisch-amerikanische Falle“ locken lassen. Bestenfalls werde es zu einer lokalen „Selbstverwaltung“ unter israelischer Herrschaft kommen, nicht als Übergangslösung auf dem Weg zur Gründung eines palästinensischen Staates, sondern als endgültiges Ergebnis: palästinensische Enklaven in einer jüdisch besiedelten Westbank. Die zur zweiten Runde der Gespräche in die USA abgereisten Sprecher der Palästinenser in den besetzten Gebieten haben diese pessimistische Prognose zurückgewiesen. Mit Sicherheit sei die geplante „Autonomie“ eine kurzzeitige Zwischenlösung und zugleich ein erster Schritt in die zukünftige Souveränität eines palästinensischen Staates in den besetzten Gebieten.

„In Abwesenheit von Garantien und in Ermangelung irgendwelcher palästinensischer Trumpfkarten ist es mir wirklich ein Rätsel, wie die nationalen Rechte der Palästinenser in den vermutlich unendlich lange hingezogenen Nahost-Verhandlungen durchgesetzt werden sollen“, erklärt ein Dozent für Politologie an der Bir- Zet-Universität in der Westbank, die vor nun schon drei Jahren von der Besatzungsbehörde dichgemacht wurde. „Unsere Verhandlungsführer haben mit der Beschränkung der Verhandlungen auf das „Autonomie-Projekt“ im voraus ein Modell akzeptiert, das schon vor 12 Jahren im Rahmen des Camp-David-Abkommens von den Palästinensern als unannehmbarer Humbug zurückgewiesen wurde“.

„Eingeweihte“ Journalisten in Ost-Jerusalem behaupten, über diese Frage gebe es auch innerhalb der PLO-Führung eine scharfe Auseinandersetzung, und es werde deshalb auch zu einem Austausch von Delegationsmitgliedern kommen. Bei öffentlichen Veranstaltungen, auf denen für eine weitere Beteiligung der Palästinenser an den Nahost-Verhandlungen geworben wird, kommt es mittlerweile regelmäßig zu scharfen Auseinandersetzungen. Während einer Versammlung in Bet Jalla bei Bethlehem protestierten viele junge Leute aus dem Publikum gegen die Ausführungen der palästinensischen Delegationsmitglieder Ghassan Katib und Nabil Kassis: Die Verhandlungen seien „Verrat an der palästinensischen Sache“, war eine der Losungen. Bei einer anderen Veranstaltung in Abu Diess bei Ost-Jerusalem erklärte der Politiker Abu Hilal, der sich zur „linken“ Opposition rechnet, daß die Nahostkonferenz nicht zum Frieden, sondern zu einem amerikanisch-israelischen Diktat führen werde. Auf der gleichen Veranstaltung argumentierte ein Mitglied der islamischen Bewegung, Omar Hamdan: „Der Konflikt war zunächst ein Problem aller Moslems. Dann wurde daraus ein Problem der Araber gemacht, schließlich ein palästinensisches, dann wurde alles zum Problem der PLO, und jetzt soll alles nur noch eine Angelegenheit der palästinensischen Delegation sein!“ Teile der linken palästinensischen Opposition kritisierte er, da sie bereit seien, sich an der „Versöhnungszeremonie mit den Ungläubigen“ zu beteiligen.

Wie kompliziert die politische Auseinandersetzung in den besetzten Gebieten geworden ist, zeigt das letzte Flugblatt der Vereinigten Nationalen Führung (UNL) der Intifada: Die Konferenz in Madrid wird mit keinem Wort erwähnt. Vielmehr stellen die Autoren fest, daß es „imperialistische und zionistische Pläne gibt, mit dem Ziel, die PLO zu umgehen, die nicht nur das Symbol unserer nationalen Existenz ist, sondern auch ein Programm der nationalen Einheit vertritt“. Im Flugblatt wird ein Wiederaufleben der Intifada versprochen — „im Kampf gegen die Besatzer, die mit US-Hilfe weiterhin Siedlungen gründen und so den Judaisierungsprozeß der besetzten Gebiete fortsetzen, vor allem in Ost-Jerusalem, obgleich dies nach internationalem Recht illegal ist und UN- Resolutionen verletzt“. Die UNL verlangt einen sofortigen Siedlungsstopp und eine zeitweilige Überwachung der besetzten Gebiete durch die Vereinten Nationen „bis zum Rückzug der Besatzer und aller ihrer Institutionen“. Zum fünften Jahrestag der Intifada, der am 9. Dezember mit einem Generalstreik gefeiert werden soll, ruft die UNL zur „Eskalation der Intifada und zu einem Höchstmaß an innerer Einheit“ auf. Zugleich wird die UNO aufgefordert, neue Resolutionen zu verabschieden, in der die bindende Wirkung der bereits vorhandenen Resolutionen zum israelisch-palästinensischen Konflikt bekräftigt wird.

Die Nichterwähnung der Nahostkonferenz läßt den Schluß zu, daß sich die UNL jetzt von den Verhandlungen zu distanzieren sucht. Eine kürzlich vom Ostjerusalemer Forschungs- und Dokumentationszentrum Aseel bei über 800 Palästinensern durchgeführte Umfrage über ihre Position zur Nahostkonferenz zeigt, daß sich die Führung der Intifada schon deshalb in Schwierigkeiten befinden muß, weil sich Befürworter und Gegner in den besetzten Gebieten ziemlich genau die Waage halten. Und trotz des „Ölzweig-Phänomens“ haben sich 63 Prozent der Bevölkerung der Stadt Gaza dafür ausgesprochen, daß sich ihre Delegation aus den Verhandlungen zurückzieht.