Schrott statt Schweine

„Sorge um das menschliche und außermenschliche Leben“ auf dem Europäischen Dorferneuerungskongreß  ■ Aus Reichenbach Detlef Krell

Fruchtbarer Boden nährte das Dorf Bannewitz, gelegen im grünen Tal vor dem Dresdner Kessel, über Generationen. Als die Währung wechselte im Lande, öffneten auf Bannewitzer Fluren zehn weiße Leichtbauhallen ihre weiten Tore zum neuen Schlaraffenland; und die Leute kamen zuhauf herbei, sie verstopften die Straße zum Dorf, parkten die Wiesen zu, und nach kleinlichem Gezerre bekam auch die Gemeindekasse etwas ab vom einträglichen Handel. Seitdem ist Bannewitz den Großstädtern ein Begriff für den Ort, wo man alles kaufen kann. Bis zu 10.000 strömen jeden Tag durch die Hallen. Das freut die Händler, und sie planen deshalb einen noch viel größeren Markt, der auch den letzten Einkaufswunsch erfüllen soll.

Und während sich die geplagten Dörfler von einer Architektin ein neues Ortszentrum entwerfen lassen — vom Rat der Gemeinde beschlossen wurde, den Eutschützer Grund am Ortsrand als Landschaftsschutzgebiet zu bewahren —, da strecken sich die Hände der Landeshauptstadt nach dem „Speckgürtel“. Dresden will sich „durch Handschlag“ auf ein Dreifaches aufblähen und die umliegenden Gemeinden schlucken. Die Abstimmung im Rathaus ist schon gelaufen.

Eine kleine Geschichte über „Dorferneuerung“ im Osten. Sachsen zählt von einst 185.000 Beschäftigten in der Landwirtschaft nur noch 65.000, und von 733 Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften haben sich nur 310 in Betriebsformen bürgerlichen Rechts wandeln können. 50 Genossenschaften bezeichnet Sachsens Landwirtschaftsminister Jähnichen (CDU) als „akut gefährdet“. Ihnen soll kostenlose Rechtshilfe den Weg zu Fördertöpfen der EG, des Bundes und des Landes öffnen.

Die sozialen und ökologischen Konsequenzen des Umbruches auf dem ostdeutschen Lande und die Zukunft des ländlichen Lebensraumes in Europa waren Thema des Zweiten Europäischen Dorferneuerungskongresses. In die Oberlausitz eingeladen hatten die Europäische ARGE Landentwicklung und Dorferneuerung. Deren Vorsitzender Erwin Pröll (ÖVP) kleidete den Kongreß in das Motto: „Auch Brüssel braucht das Dorf!“ Jede Region habe ihre eigenen Chancen, Stile und Ressourcen. Das Ziel sei aber immer die „Einheit von Dorf und Landschaft“. Das gemeinsame Haus Europa könne zum „Alptraum der Vereinheitlichung und Profillosigkeit werden“, wenn Brüssel vergesse, „daß Europa reich ist aufgrund seiner Vielfalt an Sprachen, Ausdrucksformen, Landschaften und Kulturen“. Über die „Kirche als Verbündete der Bauern“ von Slowenien sprach Maria Markes, stellvertretende slowenische Landwirtschaftsministerin. Auch Politiker aus der CSFR und Ungarn erläuterten, wie Dörfer und Landschaften zu neuem Leben finden sollen. Von der in Wien ansässigen ARGE sollten, nach Auffassung der Konferenz, Signale für die „Regionalisierung der Agrarpolitik in Europa“ ausgehen. Pröll kündigte zudem an, daß von der ARGE die „hervorragende Bausubstanz der rumänischen Dörfer“ dokumentiert werde. Eine Exkursion werde Dorfexperten, Politiker und Wissenschaftler in rumänische Dörfer führen. Für Mai nächsten Jahres sei eine Dorferneuerungsenquete in Slowenien geplant.

In Sachsen allerdings gibt es Regionen, in denen die Landwirtschaft bis auf Rudimente zusammengebrochen ist. Manch ein Bürgermeister freut sich sogar darüber, daß statt Mistfuhren nur noch Plastikmüll durchs Dorf gefahren wird: „Schrott statt Schweine.“

Minister Jähnichen ist trotzdem zuversichtlich. Ein „Aktionsprogramm für ländliche Räume“ und ein Dorfentwicklungsprogramm sollen am Leben erhalten, was schon darnieder liegt. Als gutes Beispiel hielten Modellprojekte im Nationalpark Sächsische Schweiz her. Ob sie in Gebieten wie dem Vogtland oder der Lausitz greifen, bevor dort die Dörfer veröden oder zu Rückzugsgebieten von Städtern verkommen, bleibt fraglich. Selbst der Bürgermeister der seit mehr als einem Jahr als Modell geförderten Gemeinde Forchheim verwies auf die „Ernüchterung“ im Dorf, als die vom Land zugesagte Fördersumme stückchenweise bröckelte. Seitdem sei die Akzeptanz für Dorferneuerungsprojekte „ins Tief umgeschlagen“.

Ein Tief brachte die Umstrukturierung der ostdeutschen Landwirtschaft zuerst für die Frauen. 70 Prozent der Landfrauen sind ohne Arbeitsplätze. Sachsens Gleichstellungsbeauftragte Friederike de Haas (CDU) möchte ihnen „die Möglichkeit“ geben, „sich freiwillig auf die Familienarbeit zu konzentrieren“, und jenen, die erwerbstätig bleiben wollen, „neue Wege der Arbeitsplatzbeschaffung“ ebnen.

Dazu zählt sie neben ABM die Erhaltung von Kinderbetreuungseinrichtungen und öffentlichem Nahverkehr sowie das Angebot von Teilzeitarbeitsplätzen. Nicht mehr Herd, sondern Macht für Frauen auf dem Land brachte Johanna Schmidt- Grohe vom Bayerischen Familienfunk ins Gespräch. Frauen sollten über Dorferneuerung mitentscheiden können.