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BGH bestätigte gestern das Memminger Urteil in den wesentlichen Punkten: Revisionsurteil - the worst case

■ Das Urteil des Bundesgerichtshofs im Fall Theissen hat die schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Die Karlsruher Richter...

Mit gerötetem Gesicht, zwischen seinen Verteidigern Fischer, Kempf und Kreuzer sitzend, hörte der Frauenarzt Horst Theissen gestern die Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) in Karlsruhe. Seine Revision gegen die gegen ihn im Mai 1989 verhängte Gesamtstrafe des Memminger Landgerichtes von zweieinhalb Jahren Gefängnis wegen illegaler Abtreibung, deren Versuch, den Verstoß gegen das Beratungsgesetz in 79 Fällen und wegen Steuerhinterziehung wurde in den meisten Punkten abgewiesen. Der BGH reduzierte das Urteil um jene 20 Fälle, die nach dem Gesetz schon zu Beginn der Ermittlungen gegen Theissen im Jahr 1986 verjährt waren. In diesen sei er freizusprechen, in 59 Fällen aber schuldig geworden. Er verwies das Verfahren zur neuen Festsetzung der Strafe unter Berücksichtigung des Freispruches in den 20 verjährten Fällen an das Landgericht in Augsburg zurück. Damit entsprach es dem Wunsch der Verteidigung, nicht wieder in Memmingen antreten zu müssen.

Der Vorsitzende des 1. Strafsenats des BGH, Gribbohm, stellte fest, Theissen habe mit seiner Revision versucht, „das Urteil in vollem Umfang zu Fall zu bringen“. Dies sei ihm „nicht gelungen“. Er begann die Erläuterung der einzelnen Entscheidungen mit der Frage, ob die Memminger Richter befangen gewesen seien. Er kam zu dem Schluß, das dies nicht der Fall gewesen sei. Das sogenannte „Befangenheitskarussell“, in dem sich fast das gesamte Memminger Gericht in immer wechselnder Besetzung wieder gegenseitig für unbefangen erklärt habe, sei nicht erheblich. In diesen Konstellationen seien dort zwar „Fehler unterlaufen“, die Richter seien jedoch „insgesamt bemüht“ gewesen, „über die vielen Befangenheitsanträge ordnungsgemäß zu entscheiden“. Sie hätten also dem Recht „gerade genügen wollen“, auch wenn dies nicht gelungen sei. In Rücksprache mit dem 2. Strafsenat sei der BGH deshalb zum Schluß gekommen, daß ein Formfehler „nicht stets und ausnahmslos die Besorgnis der Befangenheit“ begründe.

Die Verteidigung hatte auch gerügt, daß die Patientinnenkartei mit 1.390 Namen von der Steuerfahndung beschlagnahmt, an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet und später gegen 136 Frauen und Theissen verwandt worden war. Die Frauen hatten Geldstrafen bis zu 3.200 Mark zahlen und im Prozeß gegen Theissen öffentlich als Zeuginnen auftreten müssen. Dies habe, so die Revision, den Datenschutz und das Recht der Patientinnen auf Vertrauen zum Arzt und zu dessen Schweigepflicht verletzt, sei deshalb nicht „verhältnismäßig“ gewesen und hätte nicht als Prozeßgrundlage dienen dürfen. Das Grundrecht auf informelle Selbstbestimmung, so der BGH dagegen, könne nur gelten, wenn der Arzt als Zeuge vernommen werde, nicht aber, wenn er selbst Abgeklagter sei. Hier habe die Wahrheitsfindung und die Einhaltung des Gesetzes eindeutig den Vorrang. Außerdem, so das Gericht, habe die Verteidigung nicht vorgetragen, welche der Patientinnen „mit der Verwertung ihrer Karteikarte nicht einverstanden“ gewesen seien.

Anschließend machte sich der Senat an die grundsätzliche Auslegung des §218. Dabei habe er zu prüfen gehabt, ob die Memminger Richter in jedem Einzelfall „die richtige Meßlatte“ angelegt hätten. Gribbohm stellte sich dabei „zwischen die vorgezeichneten, einander entgegengesetzten Extreme“, mit denen er die Positionen der bayerischen Staatsanwälte und der Verteidigung Theissens meinte. Die einen seien davon ausgegangen, daß die ärztliche Entscheidung zur sozialen Indikation jedem Gericht „voll nachvollziehbar sein“ müsse, die anderen pochten auf die alleinige Entscheidungskompetenz des Arztes, solange diese nicht aus Willkür oder reiner, ungeprüfter Gefälligkeit erfolgt sei. Es müsse, so Gribbohm, nicht nur dem Schutz des ungeborenen Lebens Rechnung getragen werden, sondern auch dem Interesse des eine Schwangerschaft abbrechenden Arztes. Der müsse die Gewißheit haben, nicht gegen das Strafgesetz zu verstoßen, wenn er sich für eine soziale Indikation entscheide. Der Arzt müsse nach dem Gesetz „die näheren Umstände aufklären... ohne freilich Ermittlungsmethoden anwenden zu müssen“. Ob er allerdings „diesen Pflichten nachgekommen sei, falle zu einem erheblichen Teil in die Entscheidungskompetenz des Tatrichters“. Rechtsfehler habe das Memminger Landgericht weder „zu Gunsten noch zu Lasten“ des Angeklagten begangen. Prozeßbeobachter werteten diesen Teil des Entscheidung „als reine Lyrik“, die strafrechtlich keinerlei Relevanz habe. Theissen nannte das im Anschluß an den Prozeß „einen Affront gegen die gesamte Ärzteschaft“. Den „Teilerfolg“, den ihm das BGH durch den Wegfall der 20 verjährten Fälle zugestanden hatte, mochte er gestern als solchen nicht werten. Mit dem Urteil steht auch das inzwischen bereits aufgehobene Berufsverbot gegen Theissen wieder zur Disposition. Seine Verteidiger wiesen darauf hin, daß das Verfahren auch mit rechtskräftigen Verurteilung in 59 Fällen durch den BGH möglicherweise nicht abgeschlossen sei und mit einer Reform des §218 neu zur Verhandlung stehen könnte. Heide Platen

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