Geliebte Kunst, gekünstelte Liebe

■ Neuer mexikanischer Film: »Die Hausaufgabe« von Jaime Hermosillo

Liebe nach Plan? Das käme auf einen Versuch an. Flink wird intimen Leibesübungen im Arbeitszimmer der Boden bereitet, und derweil einer dieser gefühlsbetonten Schlager noch nach »Bonita...« schmachtet, steht Virginia schon im knallengen hautfarbenen Fummel zum Liebesdienst bereit. Unterm Schreibtisch sorgfältig drapiert, liegt eine Videokamera mit auf der Lauer. Rasch noch das Mikro hinter die Zimmerpalme, das Kabel untern Teppich und auf Knopfdruck kann es ans (Porno-)Werk gehen.

Das signalrote Funktionslämpchen gibt das Startzeichen: »Action!« im häuslichen Red-Light-District. Hereinstolziert kommt Marcelo, der es an Virilität noch allemal mit seinem (Vor-)Namensvetter Mastroianni aufnehmen will. Ohne Umschweife geht es vom tastenden »warum eigentlich...?« zum tatendurstigen »warum eigentlich erst jetzt...!«, wird stramm Hand an Virginias üppige Kurven gelegt, um zwischen ihren verheißungsvoll gespreizten Schenkeln plötzlich gestoppt zu werden. Kein Gummi, keine Lust.

Zwar kommt man sich beim flotten Cha-Cha-Cha wieder näher, doch irgendwie fühlt Marcelo sich beobachtet. Womöglich das schlechte Gewissen? Gerade wieder in erfolgversprechender Stellung, geht ihm das rotblinkende Lichtlein auf. Mit Schimpf und Schande über die Schlampe Virginia stürzt man(n) davon, um gleich darauf wegen des in der Hast zurückgelassenen Aktenköfferchens abermals aufzukreuzen.

Virginia gesteht, nur kommunikationswissenschaftlicher Studien halber mit der Videoaufzeichnung ihre eigenen Hemmungen und Verklemmungen meistern zu wollen — und der in seiner Mannesehre rehabilitierte Marcelo findet überraschend Gefallen an dem voyeuristischen Filmprojekt. Also zurück in Ausgangsstellung und alles noch mal von vorn. Doch zu dumm, jetzt, wo alle Hüllen und Heimlichkeiten gefallen sind, will »es« nicht klappen.

Gottlob entsinnt man sich einer Hängematte, wo das amouröse Treiben schließlich doch noch zum Höhepunkt zu kommen scheint — wenn sich nicht die schnöde Realität in das allerschönste Szenario einmischen würde... Ohne der Pointe vorzugreifen: Am Ende wird der zuschauende Voyeur nicht länger als lachender Dritter im Liebesbunde geduldet und mit aufs Kreuz gelegt.

Ein medial vertracktes Spiel mit der launischen Liebe, von Mexikos filmemachendem Desperado Jaime Humberto Hermosillo zum mentalen Vexierbild arrangiert. Eine »Aufgabe«, die unter dem Vorwand, mit dem schaulustigen Zuschauer gemeinsame Sache zu machen, zum unlösbaren Rätsel wird.

Wer weiß, wo letztendlich der wahrhafte Schmierenkomödiant steckt: in der geliebten Kunst oder in der gekünstelten Liebe. Marcelo, das Muttersöhnchen als Schwerenöter, und Virginia, die Hausfrau als Vamp? Macho und Feminista, Verführung und Vorführung, das ganze verteufelte Liebe-Machen nur Heim-Kino um unserer Projektion willen? Wahrlich: schöne Aussichten. Die Kamera starrt unentwegt in die gleiche Richtung, ohne irgendwann einmal einen »objektiven« Standpunkt einzuhalten, während die Akteure ständig aus der Bildfläche drängen, bis der »Rahmen« allenfalls groteske Bruchstücke erfaßt.

Ein Paar schwarze Lackschuhe, die mit rosaroten Pumps über das unerschöpfliche Thema plaudern, »was tun, wenn man ‘es‚ nicht tut«. Vor dem riesigen Porträt des legendären Pedro Armendariz träumt Marcelo von einer tragischen Rolle. Der Schwarm unzähliger Melodramen aus den vierziger Jahren eignet sich vorzugsweise in hochdramatisch ausgeleuchteten Hell-dunkel-Dekors. Bei Virginia ist alles bonbonfarben. »Que bonito...« zu hübsch, um wahr zu werden. R.R.

Die Hausaufgabe ( La Tarea ). Regie und Buch: Jaime Humberto Hermosillo. Kamera: Toni Kuhn. Mit Maria Rojo und Jose Alonso. Clasa Films Mundiales, Mexiko 1990. 95 Min. Ab 5. Dezember im Kant Zwo (deutsche Fassung) sowie im Sputnik Südstern (Original mit Untertiteln).