Unschuld hüben, drüben Laster

■ Ost-West-Klischees in Horst Seemanns neuem Film »Zwischen Pankow und Zehlendorf«

If we aren't fresh, we're out of business«, spornen zwei munterkrosse Toastscheiben einander in einem populären Werbespot vielsagend an. Solcher Nöte sind die hehren DEFA-Veteranen ledig. Unverdrossen wird das harte Brot der frühen Sozialismusjahre wiedergekäut, daß dem Publikum vor lauter wehleidigem Wanstrammeln nunmehr gesamtdeutsch ganz mulmig wird. Jetzt, wo das Blatt vorm Mund hinfällig ist, verschlägt es den klammheimlichen Wortführern die Sprache. Just in dem Moment, wo sie endlich einmal zeigen könn(t)en, was sie schon immer zeigen wollten, gähnt am Ende ihrer Kunst Leere, vorzugsweise im Trauerrand. Der Solidarappell an ein irgendwie bewahrenswertes DEFA-Erbe ist am schlagendsten von der hauseigenen Filmcrew sabotiert worden, die mit einem verkorksten Werk nach dem anderen den Mitleidsbonus gnadenlos verspielt hat. Das DEFA-Jahr nach der deutschen Einigung fing sterbenslangweilig mit Heute sterben immer nur die anderen von Siegfried Kühn (55) an, um Zwischen Pankow und Zehlendorf unter der Regie von Horst Seemann (54) vollends ins visuelle Nirwana abzudriften.

Eine Geschichtslektion, wie sie aller Tage im (Dreh-)Buch steht: Berlin, zwischen Kriegsschluß und Mauerbau. Die Grenzen in der Vier- Sektoren-Stadt sind noch durchlässig, doch zwischen »hüben« und »drüben« tut sich später eine Kluft auf. Bei den Wünsches klafft sie in der eigenen Familie.

Mutter Isolde haust mit zwei Gören in einem muffigen Altbau im sowjetsektoralen Pankow; Großmutter Nora logiert in einer piekfeinen Villa im noblen US-Distrikt Zehlendorf. Dazwischen pendelt die elfjährige Susanne zu jeder (Klavier-)Stunde unter die Fittiche ihrer Zehlendorfer Gönner-Oma, einer geschätzten Diva. Das kann ja nicht gutgehen, zumal Vater Emil plötzlich aus russischer Gefangenschaft heimkehrt.

Heimisch kann Emil selbstverständlich nicht werden, wo doch die Familie gelernt hat, ohne »Ernährer« auszukommen, und der Aufbauelan der »neuen« Zeit über den Krieg so mir dichts, dir nichts hinwegfegt. Einstweilen trimmt er den ganzen Clan auf survival training. Susi, die zartbesaitete, hält dem sonntagnachmittäglichen Kriegsspiel nicht lange stand. All ihr aufgestauter Partisanen(un-)mut entlädt sich daraufhin in einer grauseligen Tierquälerei, ein sicheres Indiz verderbter westlicher Beeinflussung.

Die Musiziererei hat damit erst einmal ein Ende. Emil, dessen krumme Geschäfte mit der Mangelwirtschaft die Genossen auf den Plan rufen, läßt kurzerhand Familie und Vaterland im Stich. Die gefrustete Susanne widmet ihr erstes Opus dem toten Stalin.

Eine kleine Alltagsstory, die vor angestrengter »Welthaltigkeit« aus allen pseudopsychologisierenden Nähten platzt. Allen Ernstes werden 90 lange Minuten sattsam bekannte Klischees ausgetuscht. »Hüben« die proletarische Unschuld im eisigen Aufbaufieber; »drüben« das bourgeoise Laster im angeheizten Wirtschaftswunder.

»Hie« eine in geblümter Kittelschürze sich abrackernde »Ossi-Arbeitsbiene«; »da« eine im schicken Dior-Kostüm Psalmodien trällernde »Wessi-Drohne«. In der konträren Weltenmitte ein dem Zauber der Noten ergebenes goldiges Geschöpf, das schulpflichtig nach Partisanen und Parasiten äugt, vorm Zu-Bette- Gehen des Klassenkampfes gedenkt und im Traume zu sibirischem Flockenwirbel aufspielt.

Ein über alles Maß erhabener Kunstwille steht mit den Musen so gründlich auf Kriegsfuß, daß der Zuschauer ohne weiteres kapituliert. Das Finale greift nochmals ins volle — beziehungsweise voll daneben —, nimmt die Symbolik wörtlich und gräbt das »Kriegsbeil« aus, um mit dem zerspaltenen Piano auch noch den letzten Anklang künstlerischer Legitimität niederzumachen. [Wie sollen die Ex-DDR-Filmemacher ihre vielleicht gar nicht mal so schlechten gesellschaftlichen Utopien in dieser gesamtdeutschen, völlig materialistisch orientierten Republik an den Mann bringen? Gar nicht so einfach, glaube ich - d.S.] »Ein Berlin-Film für alle« (O-Ton des Filmemachers und -musikers): Haste Töne? Roland Rust

Horst Seemann: Zwischen Pankow und Zehlendorf . Szenarium: H.S. und Rita Kuczynski (frei nach Motiven ihres Romans Wenn ich kein Vogel wär ). Mit Corinna Harfouch, André Hennicke, Kathrin Ackermann. Koproduktion DEFA-Allianz im Auftrag des SFB, 1991, rund 93 Minuten. Heute im Filmtheater Tivoli in Pankow.