Überlebenskünstler zwischen Mensa und Bibliothek

■ Rund 13.000 ausländische StudentInnen sind an den drei Universitäten in Berlin immatrikuliert/ StudentInnen aus den »Entwicklungsländern« kommen auf eigene Faust/ Kontakte zwischen Ausländern und Deutschen sind spärlich/ Sprachbarrieren gelten als fachliche Unzulänglichkeit

Berlin. Im Gazastreifen gibt es keine Universitäten. Die wenigen in der West-Bank müssen immer wieder schließen, die Professoren landen geradezu regelmäßig im Gefängnis, und ein geregelter Unterricht ist unmöglich. Wer dort studieren will, ist fast gezwungen, ins Ausland zu gehen. Mohamed R. (Name von der Red. geändert) mußte das Land auch wegen politischer Aktivitäten verlassen. Seit sechs Jahren studiert er an der TU in Berlin. Sein Studium verdient er sich als Lagerarbeiter oder mit anderen Gelegenheitsjobs. Wenn er seinen Abschluß hat, muß er die Bundesrepublik verlassen. Als Diplom-Ingenieur hat er in den arabischen Ländern kaum eine Chance. »Viele Wissenschaftler landen auf der Baustelle oder pflanzen Tomaten, das ist meine Zukunft.«

An den drei großen Universitäten Berlins studieren zur Zeit etwa 13.000 ausländische StudentInnen. Zu ihnen gehören die sogenannten »Bildungsinländer«, die in Deutschland Abitur gemacht haben. Bei Einschreibungsquoten und -fristen fallen sie unter die Ausländerbestimmungen. Bafög erhalten sie, wenn ihre Eltern lange genug in der Bundesrepublik gelebt haben. Die Studierenden aus den Industrieländern bleiben meist nur für ein oder zwei Jahre und sind durch Austauschprogramme, Stipendien oder von Haus aus abgesichert. StudentInnen aus sogenannten Schwellen- oder Entwicklungsländern kommen oft auf eigene Faust und ohne jegliche Unterstützung. »Wenn jemand von dort es geschafft hat, hierher zu kommen, muß er schon außergewöhnliche Qualitäten haben, was Selbständigkeit, Intelligenz, Durchsetzungs- und Organisationsvermögen und andere Potenzen in den verschiedensten Bereichen angeht«, sagt Matthias Borgmann, Studienberater des Auslandsamtes an der TU. Die Uni sollte seiner Meinung nach diese Potentiale viel mehr nutzen, anstatt hinter ausländischen Studierenden immer nur Probleme zu sehen. Statt dessen werde erwartet, »daß sie so sein müssen wie wir«. Andersartigkeit werde meist defizitär begriffen, nicht als Chance und Bereicherung.

Viele Professoren gehen ohnehin davon aus, daß jemand, der nicht so gut deutsch spricht wie sie selbst, unmöglich wirtschaftliche oder philosophische Zusammenhänge verstehen oder einen Computer bedienen kann. Auch die Studieninhalte selbst seien ausschließlich auf die hochspezialisierten Bedürfnisse der westlichen Industriegesellschaften ausgerichtet. Die StudentInnen lernen, komplizierteste Computerprogramme zu schreiben, wissen aber nicht, was zu tun ist, wenn der Rechner hakt und der nächste Kundendienst 1.000 Kilometer entfernt ist. Als Fachärzte gehen sie mit technischen Apparaturen um und kurieren Herzverfettungen. Wenn sie zurückkehren, landen sie vielleicht in einem Gebiet, in dem Massenepidemien herrschen und schon die geringsten Hygienemaßnahmen als unlösbare Probleme erscheinen. Nicht nur deshalb hält er es für absurd, daß die StudentInnen nach Beendigung ihres Studiums in ihre Herkunftsländer zurück müssen. »Nach dem ersten Kulturschock erhalten sie hier eine zweite Sozialisation. Die Herkunftsländer verändern sich aber auch ständig, so daß nochmals ein Reintegrationsprozeß durchgemacht werden muß.« Auch die Kontakte zwischen Deutschen und AusländerInnen sind bis in die Cafeterien hinein spärlich. »Die Ausländer sind meistens unter sich«, sagt Sefgi G., eine türkische Kurdin, die seit drei Jahren in Berlin studiert. Ihre eigenen Versuche, deutsche StudentInnen näher kennenzulernen, seien gescheitert. Dafür hat sie FreundInnen aus vielen anderen Nationen, aus Haiti zum Beispiel, Frankreich, Dänemark, Spanien und Lateinamerika. »Mir gefällt hier vor allem der Austausch zwischen den unterschiedlichen Nationalitäten und Kulturen.«

»Das sind eigentlich Lebenskünstler, wenn man sich die Schwierigkeiten anschaut, mit denen sie zu kämpfen haben«, findet Cetin E., ein Mitarbeiter des Ausländerreferates der TU und türkischer Bildungsinländer. Ist erst einmal eine Aufenthaltsbewilligung erteilt, darf deren Zweck nicht mehr geändert werden. Bei Studienabbruch oder bei Nichtbestehen der Prüfung des Studienkollegs, in dem Sprachkenntnisse und Allgemeinwissen auf die erforderlichen Standards gebracht werden, können die Betroffenen gleich die Koffer packen. »Daß ausländische Studenten überhaupt nach Deutschland kommen dürfen, wird offiziell als Entwicklungshilfe betrachtet«, weiß er. Wenn jemand ausgewiesen wird, stehe in dem Bescheid oft nur, sein weiteres Studium entspreche nicht den entwicklungspolitischen Vorstellungen der BRD.

Die wenigsten erhielten ein Stipendium. Damit seien sie neben den zusätzlichen Anstrengungen, die sie aufgrund sprachlicher und sozialer Barrieren, ständiger Behördenrennerei, mehr Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche und oft miserablen Wohnbedingungen auf sich nehmen müssen, gezwungen, sich ihren Lebensunterhalt neben dem Studium zu verdienen. Die Jobsituation verschärft sich zur Zeit rapide. Während die studentischen Arbeitsvermittlungen früher kaum Jobs unter 12 Mark Stundenlohn anboten, treten jetzt immer häufiger Firmen an sie heran, die sieben Mark zahlen wollen und bei Ablehnung schulterzuckend erklären, sie fänden schon genügend andere. Einige lukrative Jobs wie Taxi- fahren und Kellnern fallen von vorneherein weg. Auch in betuchteren Familien den Weihnachtsmann zu mimen fällt bei dunkler Haut oder fremdländischem Akzent aus.

Die Humboldt-Universität garantierte StudentInnen aus sogenannten Dritte-Welt-Ländern Stipendien und einen Wohnheimplatz. Ein internationales Studenten-Komitee sollte ihre Interessen vertreten, beschränkte sich aber auf ein paar Feten. »Wir haben uns schon vor 1989 von diesem Kommitee distanziert und nach der Wende eine eigene Organisation aufgebaut«, berichtet Sergio Villegas, der 1974 mit seiner Familie aus Chile fliehen mußte. Die neue Vertretung setzte sich unter anderem dafür ein, nicht mehr zu viert oder zu sechst in einem Wohnheimzimmer wohnen zu müssen. »Die deutschen Studenten konnten ja wenigstens am Wochenende nach Hause.« Zudem sitzen jetzt auch zwei ausländische VertreterInnen im Akademischen Senat. Der HUB- Ausländerbeauftragte Sergej Skorynin beobachtet eine zunehmende Verunsicherung der AusländerInnen. Rassistische Übergriffe auf den Straßen, Entlassungen und Unsicherheit bei der Stipendien führe bei vielen dazu, sich abzukapseln. Die Umbrüche in der DDR seien für sie noch schwerer zu verkraften, da auch in ihren Ländern oft alles zusammenbreche. »Vor der Wende hieß es immer offiziell, wir seien alle Freunde und Brüder, aber wir waren an der Uni trotzdem an der untersten Stelle.« Es habe immer Privilegien für bestimmte Gruppen, Unterschiede und Spannungen gegeben. Die Gleichgültigkeit seit der Wende nehme sie aber auch nicht mehr als Personen wahr. Corinna Raupach