Krankfeiern ist gesund!

Stockholm (taz) — Die Schwedinnen haben, sagt die Statistik, die weltweit höchste Lebenserwartung. Auch das andere Geschlecht, die Schweden, verteidigen nach wie vor den Spitzenplatz unter ihren Geschlechtsgenossen.

Dem Geheimnis dieser Führungsposition von Schwedinnen und Schweden auf der Spur scheint jetzt der Stockholmer Streßforscher Professor Töres Theorell. „Wir“, verkündete er dieser Tage seinen Landsleuten, „sind offensichtlich die gesundesten Menschen auf der Welt, und gleichzeitig nehmen wir den Spitzenplatz bei Krankschreibungen ein.“

Der scheinbare Widerspruch ist für Theorell in Wirklichkeit der erklärende Zusammenhang: Häufiges Krankmachen am Arbeitsplatz verlängert das Leben.

Theorell nach langjährigen Studien bei verschiedenen Berufsgruppen: „Dann und wann mal krankschreiben lassen ist ein gutes Mittel, sich vor zuviel Streß zu schützen, ernsthaftere Erkrankungen zu vermeiden, persönliche Probleme zu meistern.“ Nach der Statistik bedürfen die Schweden tatsächlich mehr als die übrigen Europäer hin und wieder mal ein paar Tage der Arbeitsruhe, auch wenn der Urlaub noch fern ist: 46 Tage im Jahr waren es im Schnitt im Rekordjahr 1989, immerhin noch 44 Tage im letzten Jahr. Die Schwedinnen führen diese Statistik vor ihren männlichen Landsleuten mit stolzen 51 Tagen. Was aber nach Meinung des Sozialmediziners Finn Diderichsen keinesfalls dem Wunsch entspringt, den ersten Platz beim weltweiten Altersrekord auszubauen: „Nein, Frauen bekommen in ständig steigendem Maß die monotonen, körperlich anstrengenden Arbeiten aufgehalst. Die rekordhohe Erbwerbstätigkeitsfrequenz von 85 Prozent (Bundesrepublik im Vergleich: 69 Prozent) führt dazu, daß immer mehr gesundheitlich angeschlagene Personen auf den Arbeitsmarkt müssen.“

Arbeiten die Schweden und Schwedinnen also zuviel, werden sie deshalb häufiger krank, und leben sie daher länger? Theorell ist jedenfalls dagegen, bei der Möglichkeit, sich kurz mal ein paar Tage krankschreiben zu lassen, Restriktionen einzuführen: Dieser Schuß ging nach hinten los. Würden die gerade diskutierten Karenztage eingeführt, bei denen es dann in den ersten Krankheitstagen kein Krankengeld gebe, würden nur die kurzen Krankheitszeiten zugunsten der langandauernden Erkrankungen abgebaut, die Krankheitszeiten insgesamt aber aufgestockt werden. Besser sei es, aufkeimenden Krankheitssymptomen mit einigen Tagen selbstverordneter Ruhe begegnen zu können, bevor diese chronisch würden.

Theorell wird allerdings noch etwas weiterforschen müssen: Ungeklärt ist nach wie vor das Pänomen der gehäuften Krankzeiten an den — nomen est omen! — „Klemmtagen“ (zwischen einem Feiertag und dem Wochenende eingeklemmt) und zu Zeiten wichtiger Spiele bei der Eishockey-Weltmeisterschaft. Da treffen die Schweden und Schwedinnen, die sich krankmelden wollen, auch bei der Krankenversicherung nur auf einen Anrufbeantworter. Reinhard Wolff