: Kurz und direkt
■ „Tod auf Raten“ von Pete Dine, Dienstag, 21.55 Uhr, Tele5
JVA Brandenburg. „Drei Kapitel deutscher Geschichte birgt das rote Backsteingemäuer. Einst Nazi- Zuchthaus und Hinrichtungsort für Antifaschisten, dann Haftanstalt unter der sozialistischen Klassenkampfdoktrin. Zwei Jahre nun ist es ein Gefängnis in Wiedervereinigungswirren und Wendeverlegenheit.“ Unter dem SED-Regime verhängte Strafmaße werden von der bundesdeutschen Justiz nur langsam korrigiert. Man läßt sich Zeit. Schließlich können die ja nicht weglaufen.
Vor einem vorindustriellen Hochofen schwitzen Haftarbeiter für ein paar lumpige Märker pro Tag. Wegen Kohlenstaub klagen Inhaftierte über Reizhusten und chronische Bronchitis. Beschweren tut sich dennoch keiner. Ohne den begehrten Knastarbeitsplatz kommt unter dem Strich noch weniger Geld herum.
Die grausame Monotonie eines bis ins letzte ritualisierten Alltags schleift jede charakterliche Prägung ab. Rasselnde Zellentüren, Idiotengang, Schlafen. Umstandslos und direkt geht Pete Dine in seiner Reportage auf das Thema zu. Was bedeutet das eigentlich, ein Lebenslänglicher? — ein Wort, das jeder schon einmal gehört hat. In Amerika bekommen besonders brutale Serienkiller eine Haftstrafe von mindestens zweimal lebenslänglich aufgebrummt. Man witzelt über diese Absurdität und vergißt.
Damit die draußen ein gutes Gewissen haben, schimmeln hinter den Mauern Menschen vor sich hin. Wer zehn oder zwanzig Jahre hinter Gittern verbringt, sitzt nicht mehr um seiner selbst willen. Es geht nicht um eine ominöse Besserung. Die Haftstrafe, macht Pete Dine deutlich, beruht auf einem „mythischen Rachegedanken“. „Niemand kümmert sich um einen“, sagt ein Häftling vor der Kamera. Wie soll man sich da „bessern“? Psychologische Kategorien machen vor den Gittern halt. „Ich erzähle doch keinem Psychologen etwas von meinen intimen Dingen“, sagt ein anderer Häftling. „Der macht sich doch hinterher mit den anderen darüber lustig.“
Haftstrafe, lebenslängliche zumal, bedeutet eine indirekte Zufügung von Schmerz. Allein, die Justiz wiegt sich in der Vorstellung eines „humaneren“ Strafvollzugs. Tatsächlich jedoch reduziert die lebenslängliche Haftstrafe die Würde des Menschen auf die Frage, ob er es fertigbringt, sich dieser Tortur durch (verbotenen) Selbstmord zu entziehen. Eine am Fenstergitter strangulierte Puppe erinnert einen Häftling an diesen „Ausweg“.
Die Existenz, das nackte Dasein selbst wird zur unendlichen Qual. Am Ende steht sogar die „Angst vor der Entlassung“. „Hätten die mir nicht gesagt, daß es an der Staßenbahn so ein Knöpfchen gibt, dann hätte ich nach dem Türgriff gesucht“, berichtet ein Inhaftierter von einem Kurzurlaub.
Pete Dines Reportage ist ein erschütterndes Dokument über die Praxis des Justizvollzugs. Ohne Pathos, ohne Beschönigung oder Übertreibung berichten Menschen von ihren Gedanken, ihrer Apathie. So zynisch dies auch klingt: Wer es irgendwie fertigbringt, sich sexuell umzupolen, wer also schwul wird, der kann sich wenigstens eine kleine Nische der Intimität zurückerobern. Das wird geduldet. Manfred Riepe
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