Gezielte Indiskretion

■ In einem Bericht verurteilen die EG-Beobachter das Vorgehen der jugoslawischen Armee

Gezielte Indiskretion In einem Bericht verurteilen die EG-Beobachter das Vorgehen der jugoslawischen Armee

Was die interessierte Öffentlichkeit längst weiß, was unabhängige Medien seit Monaten berichten, ist nun auch durch einen Bericht der EG-Beobachter publik worden: Die jugoslawische Bundesarmee bombardiert zivile Ziele, protegiert den Terror serbischer Freischärler, tötet und vertreibt die kroatische Bevölkerung aus gemischt besiedelten Gebieten Kroatiens. Das Dokument an sich bringt keine neuen Erkenntnisse, von Interesse sind eher die Umstände seiner Veröffentlichung und die Forderung nach militärischen Maßnahmen. Der Bericht wurde zu einem günstigen Zeitpunkt — der UN-Sonderbeauftragte Cyrus Vance hielt sich gerade in Jugoslawien auf — der Presse zugespielt. Verantwortlich für die Indiskretion ist offenbar eine westliche Botschaft in Belgrad. So liegt die Vermutung nahe, daß gewisse politische Kreise denjenigen Regierungen der EG, die sich mit einer diplomatischen Anerkennung Sloweniens und Kroatiens schwertun, Beine machen wollen. Der niederländische EG-Ratspräsident mag zwar recht haben, wenn er den Report als einen von inzwischen etwa 170 inoffiziellen Berichten bezeichnet. Doch für Wirbel hat die Veröffentlichung bereits gesorgt und damit ihren Zweck erfüllt. Und das ist gut so. Immerhin sieht alles danach aus, daß nach Vukovar nun Osijek an der Reihe ist und die jugoslawische Armee ihre Offensive möglicherweise erst stoppt, wenn sie auch noch Zadar, Sisak und Karlovac eingenommen hat. Der im Bericht der EG-Beobachter enthaltene Vorschlag, die Armee mit militärischen „Abschreckungsmaßnahmen“ zu stoppen, richtet sich zwar an den EG-Ministerrat, kann aber nur als Votum für eine möglichst baldige Entsendung von UNO- Truppen verstanden werden. Denn daß die EG- Staaten über die WEU oder die Nato in Jugoslawien militärisch umgehend eingreifen, ist aus völkerrechtlichen, politischen und auch pragmatischen Gründen ausgeschlossen. So bleibt vorerst nur die Hoffnung auf die Blauhelme. Die serbische Führung, in deren Dienst die Bundesarmee faktisch steht, spielt jedoch auf Zeit. Sie versucht alles, um die Ankunft der mit durchsichtigen Intentionen selbst angeforderten UNO-Truppen hinauszuzögern. An einem wirklichen Waffenstillstand und an einer Vereinbarung über den Standort von Blauhelmen ist sie deshalb wenig interessiert. Im übrigen erleichtert eine internationale Anerkennung der Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens, wie sie von Bonn, wo sich Kucan und Tudjman gerade die Klinke in die Hand geben, forciert und durch die jüngste Indiskretion möglicherweise beschleunigt wird, eine militärische Intervention juristisch und politisch. Dies weiß auch die serbische Führung. So versucht sie denn diesen längst fälligen Schritt hinauszuzögern. Verhindern kann sie ihn nicht mehr. Thomas Schmid