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Kleinkrieg in der Friedensforschung

In der Friedens- und Konfliktforschung, heute vor allem Politikberatung für internationale Machtzentren, werden Frauen immer mehr ins Abseits gedrängt. Der Gewaltfaktor Geschlechterverhältnis ist kein Thema.  ■ VON ULRIKE HELWERTH

Ist Friedensforschung eine männliche Wissenschaft?“ Mit dieser Frage provozierte Tordis Batschneider 1989 ihre Kollegen beim XVI. Kolloquium der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK) gehörig. Die Antwort lautet nach wie vor ja. Daraus hat die bisherige Vorsitzende des AFK, des WissenschaftlerInnenverbandes der deutschsprachigen Friedens- und Konfliktforschung, jetzt ihre Konsequenzen gezogen: Anfang November erklärte Astrid Albrecht-Heide ihren sofortigen Rücktritt von ihrem AFK-Posten und machte damit aus einem lange schwelenden einen offenen Konflikt. Der Auslöser: der Stiftungsrat der, eher kritischem Denken verpflichteten, Berliner „Berghof-Stiftung für Konfliktforschung“ hatte sich geweigert, die Förderung für ein halbfertiges Projekt „Frauen in der Bundeswehr“ wieder aufzunehmen. Damit sei, so die Professorin für Sozialisationsforschung an der TU Berlin, das einzige Frauenprojekt an einem der bundesdeutschen Friedensforschungsinstitute an einem Männergremium gescheitert — ein „Akt struktureller Gewalt“.

Überdruß an feministischen Debatten

Mit den Frauen im Militär beschäftigt sich Astrid Albrecht-Heide bereits seit Jahren. Mit ihrer wissenschaftlichen Begleitung führte die Politikwissenschaftlerin Utemaria Bujewski-Crawford 1980 an der TU Berlin die erste Untersuchung zum Thema „Frauen in der Bundeswehr durch, die erste größere Veröffentlichung folgte. Weil die Weiterfinanzierung fehlte, konnte das Projekt aber jahrelang nicht fortgeführt werden. Ab Mitte der 80er Jahre intensivierte sich die öffentliche Diskussion darüber, ob Frauen, denen Artikel12 GG die Wehrpflicht und den freiwilligen Dienst mit der Waffe verbietet, eine militärische Karriere in der Bundeswehr eröffnet werden sollte oder nicht. 1988 wurden alle Laufbahnen des Sanitätsdienstes der Bundeswehr für Frauen geöffnet, 1989 begannen die ersten Offiziersanwärterinnen ihre Grundausbildung. Auch an der Waffe — aus Verteidigungsgründen. Denn nach dem Genfer Abkommen von 1949 ist die Sanitätstruppe verpflichtet, die ihnen anvertrauten Verwundeten und sich selbst mit der Waffe zu schützen. Das Thema erhielt neue Brisanz.

Utemaria Bujewski-Crawford wandte sich an die Berghof-Stiftung. 1988 bewilligte der acht-männerköpfige Stiftungsrat mit knapper Mehrheit zunächst eine einjährige Anschubfinanzierung für ein neues Projekt: eine qualitative Umfrage unter Sanitätsoffizierinnen, Anwärterinnen und Zivilangestellten der Bundeswehr sowie Partnerinnen von Bundeswehrsoldaten zur Mittäterschaft von Frauen im Militärapparat. Nachdem die aufwendige Suche nach Drittmitteln gescheitert war, wurde 1989 das Projekt um weitere 18 Monate verlängert. Utemaria Bujewski-Crawford hatte aber vor, ihre Forschungsarbeit mit einer Promotion zu beschließen — ein Vorhaben, das in jüngster Zeit von der Berghof- Stiftung generell ohne Probleme und Auflagen unterstützt und finanziert wird. In ihrem Fall aber — und gegen die Gepflogenheiten des Hauses Berghof — verlangte der Stiftungsrats-Vorsitzende Dieter Senghaas, Professor für Internationale Politik und Internationale Gesellschaft an der Uni Bremen, plötzlich einen schriftlichen Antrag, in dem die Doktorandin ein detailliertes Konzept ihres Dissertationsvorhabens präsentieren sollte. Was die Antragstellerin auch brav tat. Doch dann beschloß der Stiftungsrat auf einer außerordentlichen Sitzung im April 1991 mit einer Stimme Mehrheit: Ende des Projektes zum Juni 1991, keine weitere Förderung für das Promotionsvorhaben. Eine Entscheidung, die auch auf der ordentlichen Stiftungsratsrunde im November nicht revidiert wurde.

Eine offizielle Begründung für die Ablehnung hat Utemaria Bujewski- Crawford nie erhalten, weil das nicht den Regeln des Hauses entspricht. Aber hintenrum wurde erzählt, daß Dieter Senghaas den Antrag für „profillos“ und für „Quatsch“ erachtet habe, und Stiftungsrats-Mitglied Theo Ebert, prominenter Prediger von Gewaltfreiheit, die leidigen feministischen Diskussionen ums Patriarchat schon von seiner Zeit als Mitglied der evangelischen Kirchenleitung Berlin-Brandenburg (West) mehr als satt habe. Der Leiter der Berghof-Stiftung, der FU-Professor für Friedensforschung und internationale Politik, Ulrich Albrecht, gibt denn auch offen — und bedauernd — zu, daß es bei der Entscheidung gegen das Promotionsvorhaben (beantragte Mittel: weniger als 40.000 DM) „dezidiert nicht ums Geld, sondern um den Inhalt“ gegangen sei. Kommentar seiner Ehefrau Astrid Albrecht-Heide: „Wenn Männer entscheiden, was qualifizierte Frauenforschung oder gar qualifizierte Patriarchatskritik ist, so ist dies in meiner Sicht nicht anders, als wenn auf der Chefetage eines Multis entschieden wird, was qualifizierte Gewerkschaftsarbeit ist.“

Zitationskartell der alten Männer

Frauen, Krieg, Militär — Images und Phantasie1 heißt das jüngste Buch von Astrid Albrecht-Heide und Utemaria Bujewski-Crawford. Die umfangreiche Materialsammlung über die Einbindung der Frauen in die Militärmaschinerie in der neueren bundesdeutschen Geschichte erschien im vergangenen April. Das Thema erfuhr durch den Krieg und die US-amerikanischen Soldatinnen am Golf schreckliche Aktualität. Utemaria Bujewski-Crawford war als Expertin während des Golfkrieges für Vorträge und Podiumsdiskussionen begehrt, ihre Reden wurden auf Friedensmärschen verlesen und verteilt. Mit anderen Friedensforscherinnen durchbrach sie das „Zitationskartell der alten Männer“, stellte die weltweite männliche Kriegslogik grundsätzlich in Frage.

Jetzt hat die 40jährige Politikwissenschaftlerin 28 Interviews mit Bundeswehrfrauen im Kasten, sitzt auf 2.000 Seiten „hochinteressantem“ Forschungsmaterial, weiß aber nicht, wie sie ihre Dissertation unter ökonomisch akzeptablen Bedingungen beenden soll. Ein Kollege, der gleichzeitig mit ihr bei der Berghof- Stiftung mit einem militärpolitischen Forschungsprojekt zur „Out of area“-Problematik (die Ausweitung der Nato-Einsätze über ihr Vertragsgebiet hinaus) angefangen hat, sicherte sich seine Promotion ohne Probleme und ohne Antrag. Nach erfolgreichem Abschluß soll er eine der drei unbefristeten wissenschaftlichen Stellen im Hause erhalten. Eigentlich war, auf Druck der Berghof- MitarbeiterInnen, mit Stiftungsleitung und -geschäftsführung vereinbart worden, daß mindestens eine dieser Stellen im Sinne der Frauenförderung an eine Frau gehen sollte — an Utemaria Bujewski-Crawford eben. Eingestellt aber werden nur promovierte MitarbeiterInnen.

Der blinde Fleck der Gewalt-Experten

„Es ist Zeit für die Tomate“, sagt Astrid Albrecht-Heide, in Anspielung auf die SDS-Frauen (Sozialistischer Deutscher Studentenbund), die 1968 ihre Obergenossen mit Tomaten bewarfen und damit einen effektvollen Beitrag zur neuen Frauenbewegung leisteten Aber nicht nur in der Berghof-Stiftung. Denn die Benachteiligung von Frauen, das bestätigen Wissenschaftlerinnen aus allen Friedensforschungsinstituten, hat System. „Der blinde Fleck bei den Experten der strukturellen Gewalt und Konfliktlösung ist, daß sie selbst strukturelle Gewalt produzieren, das aber gar nicht wahrnehmen“, sagt Astrid Albrecht-Heide. Und: „Die Friedens- und Konfliktforschung ist der letzte sozialwissenschaftliche Zweig, der noch nicht kapiert hat, daß die Frauen und das Geschlechterverhältnis eine wichtige Kategorie sind.“

„Männlich dominierte Gremien“ entscheiden über die Vergabe staatlicher Forschungsgelder. Gleiches gilt für die Vergabe von Mitteln aus privater Hand. „Männer prägen die Leitungen, Vorstände, Aufsichtsgremien und Beiräte“ der Friedensforschungsinstitute, Mitarbeiterinnen mit unbefristeten Arbeitsverträgen „lassen sich an einer Hand abzählen“. Der personellen Situation entsprechend „dominieren auch bei den Forschungsprioritäten Erfahrungsbezüge und Weltsichten von Männern“, schrieb Hanne-Margret Birckenbach 1990 in einem Aufsatz 2. Die promovierte Sozialpsychologin hat das am eigenen Leib erfahren: Seit über einem Jahr führt sie eine arbeitsrechtliche Klage nach der anderen gegen ihren bisherigen Arbeitgeber, das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH). 1985 bekam sie dort einen Fünf-Jahres- Vertrag als wissenschaftliche Referentin. Nach Ablauf der Frist wurde ihr „betriebsbedingt“ gekündigt, weil die Stelle angeblich für einen anderen, wichtigeren Forschungsschwerpunkt eingeplant worden war. Sie klagte vor dem Arbeitsgericht auf Entfristung ihres Vertrags, gewann, wurde mit der gleichen Argumentation erneut gekündigt, gewann wieder. Inzwischen befindet sie sich in der dritten Runde, bekam am 1.Oktober im Hamburger Institut Hausverbot und erhält seitdem auch kein Gehalt mehr. „Die setzen darauf, daß ich mürbe werde.“

Hanne-Margret Birckenbach ist eine renommierte Wissenschaftlerin. Aber ihr Schwerpunkt sind sozialpsychologische Fragen, ein Ansatz, der in ihrer Disziplin mehr und mehr als „soft-ware“ gilt. Das war nicht immer so. In ihren Anfängen, vor rund 20 Jahren, präsentierte sich die Friedens- und Konfliktforschung als eine sehr herrschaftskritische, basisorientierte Wissenschaft, Themen wie Psychologie der Feindbilder und Friedenserziehung, die Interaktion der Individuen spielten darin eine bedeutende Rolle. Inzwischen aber sei die Friedensforschung — im deutlichen Widerspruch zu ihren Anfängen — vor allem zu einer „Politikberatung für männliche Politiker in den internationalen Entscheidungszentren“ degeneriert, kritisiert Hanne-Margret Birckenbach. Dabei sei die hierarchische, geschlechtsspezifische Arbeitsteilung unübersehbar. In der Regel beschäftigten sich Männer mit den prestigeträchtigen „harten“ Themen“ wie Militärstrategie, außenpolitische Konzeptionen, rüstungsökonomische Fragen, während Frauen mehr zu den weniger angesehenen „weichen“ Themen, dem sogenannten „subjektiven Faktor“ tendierten. „Männer untersuchen das, was ,oben‘ und ,außen‘, die Frauen das, was ,unten‘ und ,innen‘ passiert. Sie reproduzieren Perspektiven, die der auf etablierte Politik bezogenen Forschung als ,weiblich‘ gelten und von den reputierten, Macht und Dominanz verleihenden Themen abgespalten werden“, schreibt die Hamburger Friedensforscherin in ihrem Aufsatz.

„Die Gewalt und Frauenfeindlichkeit in der Friedensforschung“ läge darin, daß Frauenforschung als Thema nicht aufgegriffen wird. „Damit wird Frauen Wissen über sich selbst und der Gesellschaft Wissen über das Geschlechterverhältnis vorenthalten“, erklärt sie. So kennt sie im deutschsprachigen Raum kein einziges Forschungsprojekt, das sich mit dem Verhältnis von Frieden und Geschlecht beschäftigt.

Raus aus den Nischen der „Nebenfriedensforschung“

Es ist absurd, daß eine Wissenschaft, die auf die Analyse und Verhinderung von Gewalt spezialisiert ist, den wichtigen, oder gar wichtigsten Gewaltfaktor, das Geschlechterverhältnis, nach wie vor weitgehend ignoriert. Deswegen haben sich vor zwei Jahren eine Reihe von feministischen Friedensforscherinnen in der AFK zu einem Netzwerk zusammengeschlossen: Weil sie die Dominanz quantitativer gegenüber qualitativer Methoden kritisieren und mehr Aufmerksamkeit für die politischen, wirtschaftlichen, sozialen und psychologischen Aspekte friedlicher Konfliktbewältigung verlangen, weil sie es satt haben, jenseits der geförderten Friedensforschung ihr Dasein in den Nischen einer Art „Nebenfriedensforschung“ zu fristen. Koordinatorin dieses „Netzwerks Friedensforscherinnen“ ist Regine Mehl von der Arbeitsstelle Friedensforschung Bonn (AFB). Sie sitzt im Vorstand des AFK und bemängelt, daß sich dieser Vorstand nie in die „Instituts-internen Konflikte“ eingemischt und gegen die „unfriedlichen Strukturen offensiv Position bezogen“ habe. Dennoch hält sie den Rücktritt ihrer Mitstreiterin Astrid Albrecht-Heide vom AFK-Vorsitz wegen der Sache in der Berghof-Stiftung für völlig falsch. „Sie erweist uns Frauen einen Bärendienst“, zürnt Regine Mehl. „Das ist nicht die richtige Politik“, findet auch Ulrike Wasmuht von der FU in Berlin, dritte Frau im achtköpfigen AFK-Vorstand. „Ein persönliches Beleidigtsein hilft uns nicht, unsere Situation zu verändern.“ Astrid Albrecht- Heide aber wollte mit ihrer Rückkehr „an die Basis“ auch ein Zeichen setzen gegen „den hilflosen Versuch der Friedensforschung, eine Nadelstreifen-Wissenschaft zu werden“.

2Hanne-Margret Birckenbach: Friedensforschung und ihre feministischen Ansätze: Möglichkeiten der Integration. ABF-Texte, Arbeitsstelle für Friedensforschung Bonn, November 1990.

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