„Der staatlichen Willkür ausgeliefert“

■ Urteil des BGH zum Memminger Abtreibungsprozeß schürt 218-Debatte/ SPD: Paragraph 218 bietet keine Rechtssicherheit/ Pro Familia: Indikationsregelung nicht mehr praktikabel

Bonn (afp/taz) — Mit seinem Urteil gegen den Frauenarzt Horst Theissen hat der Bundesgerichtshof die Debatte um den Paragraph 218 wieder voll entfacht. Die skandalösen Memminger Abtreibungsurteile hätten damit höchstrichterlichen Segen erhalten, blinder Verfolgungseifer sei gebilligt worden, schimpften Organisationen für Sexualberatung und Familienplanung.

Für SPD und Bündnis 90/Grüne zeigt das Urteil eindeutig, das das geltende Recht keine Rechtssicherheit bietet. CDU-Frauenministerin Angela Merkel aber tönt nach wie vor, daß sich für ein Abtreibungsverbot mit Ausnahmen wohl doch noch eine Mehrheit im Parlament finden ließe.

„Die politische Lehre aus diesem BGH-Urteil muß sein, daß bei der derzeitigen Reformdebatte um den Paragraph 218 eine Regelung festgelegt wird, die den Ärzten eine klare Rechtssicherheit im Falle eines Schwangerschaftsabbruchs garantiert.“ So reagierte gestern Hanna Wolf, Frauenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. Ärzte müßten die Gewißheit haben, daß sie keinem „Richter über ihre Entscheidung Rechenschaft abgeben müssen“. Auch der Schutz von Patientenkarteien müsse explizit festgeschrieben werden.

Unterstützt wurde sie von ihrer Parteikollegin Wettig-Danielmeier. Der antiquierte Strafrechtsparagraph 218 müsse in seiner jetzigen Fassung abgeschafft werden, verlangte die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen. Frauen, die abtreiben, seien sonst der „Willkür eifernder Staatsanwälte“ ausgeliefert. Auch die Gruppe Bündnis 90/Grüne forderte als Konsequenz aus der BGH- Entscheidung die ersatzlose Streichung der Paragraphen 218 und 219.

Doch auch die FDP mit ihrer Forderung nach einer Zwangsberatung vor der Abtreibung sieht sich durch Karlsruhe bestätigt. Die Verantwortung für Schwangerschaftsabbrüche dürfe nicht den Ärzten zugeschoben werden.

Die Indikationsregelung für Schwangerschaftsabbrüche ist nach dem BGH-Urteil nicht mehr praktikabel, stellte Pro Familia fest. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes bedeute, daß künftig jeder Arzt bei einer Abtreibung „mehr als mit einem Bein im Gefängnis“ stehe, erklärte die Beratungsorganisation.

Der Bundesgerichtshof hatte am Dienstag das Urteil des Memminger Landgerichts gegen den Frauenarzt Horst Theissen wegen illegaler Abtreibung in 36 Fällen bestätigt, das Urteil im Strafmaß jedoch aufgehoben, da eine Reihe von Verstößen gegen die Beratungs- und Indikationspflicht bereits verjährt waren. Die vom BGH verfügte Neuauflage des Memminger Abtreibungsprozesses am Augsburger Landgericht findet frühestens im Sommer nächsten Jahres statt. bam