: Flüchtlinge dürfen in Hessen bleiben
Der hessische Ministerpräsident Hans Eichel im humanitären Einsatz/ Münch (Sachsen-Anhalt) stimmt zu ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Frankfurt/Main (taz) — Der seit mehr als zwei Wochen andauernde Hungerstreik sogenannter „Rückflüchtlinge“ aus Sachsen-Anhalt in der Hessischen Gemeinschaftsunterkunft (HGU) in Schwalbach wird möglicherweise schon heute abgebrochen. Hessens Ministerpräsident Hans Eichel (SPD) hatte sich gestern — nach tagelangem Tauziehen zwischen den Sozialministerien beider Bundesländer — am Rande der Ministerpräsidentenkonferenz bei seinem Amtskollegen Werner Münch (CDU) für den Verzicht Sachsen- Anhalts auf Rückführung der Asylbewerber eingesetzt. Damit ist der Weg frei für die Einleitung eines erneuten Anerkennungsverfahrens für die Hungerstreikenden in Hessen, das durch die Verweigerung der Herausgabe der Personalakten der „Rückflüchtlinge“ blockiert war. Eichel und Münch, so der hessische Regierungssprecher Stather, hätten sich darauf verständigen können, daß „aus humanitären Gründen eine einmalige Sondervereinbarung“ getroffen werden könne — „falls das Bundesamt in Zirndorf mitspielt“.
Daß rasch eine Lösung gefunden werden mußte, räumte gestern auf Anfrage auch die Sprecherin des hessischen Sozialministeriums, Susanne Nöcker, ein. Der Hungerstreik der zwanzig Asylbewerber aus der Türkei, dem Iran und Palästina, die wegen der Überfälle Rechtsradikaler auf ihre Flüchtlingswohnheime in Sachsen-Anhalt zurück nach Hessen gekommen waren, dauert bereits 16 Tage an. Nöcker: „Wir werden nicht warten, bis in Schwalbach ein Mensch stirbt.“ Die Hungerstreikenden jedenfalls waren fest entschlossen, ihre Protestaktion fortzusetzen. Bereits in der vergangenen Woche mußte einer der hungerstreikenden Flüchtlinge, die bislang nur Mineralwasser und Vitamintabletten zu sich genommen haben, in eine Klinik verbracht werden.
Begonnen hatten den Hungerstreik in der HGU mehr als dreißig AsylbewerberInnen. Im Gegensatz zu den „Rückflüchtlingen“ aus Thüringen und Sachsen, denen in Hessen ein Bleiberecht zugesichert worden war, scheiterte eine Neuaufnahme der „Rückflüchtlinge“ aus Sachsen- Anhalt an der „sturen Haltung“ (Nöcker) der dortigen Landesregierung. Weil man in Magdeburg die nach Hessen geflohenen Asylbewerber zurückhaben wollte, konnte die grüne Sozialministerin Iris Blaul — trotz der „Bleiberecht-Regelung“ der hessichen Landesregierung für im Osten angegriffene Flüchtlinge — den zwanzig verbliebenen Hungerstreikenden keine Hoffnungen machen. Nachdem Thüringen und Sachsen bereits vor zwei Wochen auf eine Rückführung „ihrer“ Flüchtlinge verzichteten, hatten die „Rückflüchtlinge“ aus diesen Bundesländern den Hungerstreik abgebrochen.
Daß sich das Bundesamt in Zirndorf der zwischen Eichel und Münch getroffenen „humanitären Regelung“ widersetzen könnte, glaubt Regierungssprecher Stather nicht. Der Sozialdemokrat betonte nachdrücklich, daß es sich um eine „absolute Ausnahmeregelung“ handele. Falls Zirndorf abschließend zustimme, könnten die Asylbewerber umgehend in Hessen in ein neues Anerkennungsverfahren aufgenommen und verteilt werden.
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