INTERVIEW
: „Wir müssen uns auf wenige Entwicklungsländer beschränken“

■ Rupert Neudeck, Vorsitzender der Hilfsorganisation „Cap Anamur“, fordert zum heutigen „Tag des Entwicklungshelfers“ eine Neuorientierung der Entwicklungspolitik

taz: Wie stellt sich für Sie die gegenwärtige Situation des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) dar?

Neudeck: Das BMZ hat die wahnsinnige Schwierigkeit, aus dem Ruf des verachtetsten Bonner Ministeriums herauszukommen. Es ist der gesamten Bevölkerung bekannt, daß es das verachtetste ist, denn die Minister werden da wie Kegelfiguren durcheinandergewirbelt. Der Ex-Minister Warnke war erst Entwicklungshilfeminister, ist dann Verkehrsminister geworden und dann wieder Entwicklungshilfeminister. Damals sagte er mir, daß er froh wäre, endlich ein klassisches Ressort zu haben — er meinte das Verkehrsressort —, und er war todtraurig, als er wieder in das verachtete Ressort der Entwicklungspolitik gekommen ist.

Das ist aber vielleicht auch eine ganz große Chance. Denn dieses Ministerium kann sich nur am eigenen Schopf aus dem Schlamm, in dem es jetzt sitzt, herausziehen. Und das kann es nur, indem es etwas versucht, was in Bonn sehr unüblich ist: ein bißchen radikal zu werden.

Was soll das heißen — „ein bißchen radikal“?

Es ist natürlich schon sprachlich falsch — man kann ja nicht ein bißchen radikal sein, aber in der Politik ist das manchmal so. Das BMZ hat etwas getan, was wirklich Radikalität bedeutet, aber dadurch, daß man es erst mal als „Kriterienkatalog“ veröffentlicht hat, hat man es schon wieder verwässert: die Vergabe von Entwicklungshilfemitteln soll nämlich an bestimmte Voraussetzungen gebunden sein. Zum Beispiel an die Frage, wie der Militärhaushalt eines Landes, das zu den Habenichtsen gehört, im Verhältnis zu dem Bildungs- und dem Gesundheitshaushalt steht.

Ich bezweifle aber, ob der politische Wille und die Kraft dieses Ministeriums ausreicht, das auch durchzusetzen. Das BMZ leidet ja unter der Kuratel des Auswärtigen Amtes und der „Achse“ Außen- und Wirtschaftsministerium, also Genscher-Möllemann. Das wurde jüngst deutlich bei der Frage der Reduktion von Entwicklungshilfemitteln für Indonesien.

Was geschah im Fall Indonesien?

Man hat eine Reduktion der Mittel um etwa 20 Millionen DM vorgenommen, hat aber zugleich über Handelskontakte einen neuen Kredit von 600 Millionen DM gegeben — so oder ähnlich war die Größenordnung. Die indonesische Regierung konnte sich ins Fäustchen lachen über die blödsinnige Politik des BMZ.

Bei der Schaffung solcher Kriterien für die Vergabe von Mitteln wird Entwicklungspolitik und Außenpolitik kaum zu trennen sein. Kann man dann überhaupt Entwicklungspolitik jenseits von machtpolitischem Gehabe betreiben?

Diese Befürchtung ist natürlich realistisch. Ich sehe aber eher eine ganz andere Entwicklung. Ich denke, daß die deutsche Entwicklungspolitik bisher ausschließlich eine Fortsetzung der Außenpolitik war, und zwar der Hallstein-Politik mit anderen Mitteln. Dieses Gießkannenprinzip, mit dem wir überall auf der Welt Staaten dafür prämieren, daß sie der DDR gegenüber keine Liebesdienste erwiesen haben, ist noch nicht überwunden.

Der entscheidende Neuanfang in der Entwicklungspolitik wird dann beginnen, wenn wir uns auf schwerpunktmäßige Nutzung der bescheidenen Mittel besinnen. Wir müssen wegkommen von dem großen pathetischen Gerede, daß wir anfangen, die Ursachen von Flüchtlingsbewegungen ein wenig anzukratzen. Wir müssen uns auf einige wenige Länder schwerpunktmäßig einlassen.

Welche Länder sollen zu Schwerpunkten werden?

Ein Schwerpunktland muß Vietnam werden. Wir hatten nicht nur 30.000 Bootsflüchtlinge im Westen und 65.000 Kontraktarbeiter im Osten Deutschlands, sondern es gibt dort auch ein Riesenpotential an Menschen, die sich auf den Weg ins Ausland machen. Der Entwicklungshilfeetat für Vietnam liegt jetzt bei 29 MillionenDM. Dieser Zahl stelle ich 73 Millionen DM für den Tschad gegenüber.

Ich denke auch an Äthiopien und Eritrea, wo wir jetzt ein großes Reintegrationsprogramm in den zerstörten Gebieten beginnen könnten. Wie ich höre, wollen bis zu 75 Prozent der 25.000 Äthiopier und Eritreer in Deutschland wieder zurück. Wir könnten ihnen den Weg leichtmachen, die Fahrt bezahlen, jungen Leuten ein kurzes Berufsausbildungsprogramm hier ermöglichen. Dies kann man sicher auch für Mosambik und Angola fortsetzen. Man sollte sich wirklich beschränken und sich dann dieser Staaten mit ganz großer Sorgfalt annehmen, so daß Programme auch wirklich greifen. Interview: Dominic Johnson