„Kräfte bündeln“

Fusion von IG Chemie und IG Bergbau zielt auf Energiesektor  ■ Von Martin Kempe

Die Sensation wollte sich der IG- Chemie-Vorsitzende Hermann Rappe eigentlich für seine Jahrespressekonferenz Anfang der Woche in Hannover aufheben: die geplante Vereinigung der Chemie-Gewerkschaft (IGCh) mit der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie (IGBE). Aber die Nachricht kam schon vorher auf den Markt, und so blieb Rappe nichts weiter übrig, als die blühenden Spekulationen der Journalisten zu dementieren. Die Vereinigung der beiden Gewerkschaften sei gegen niemanden gerichtet, habe mit dem Organisationsstreit zwischen ÖTV und IGBE nichts zu tun. Es gehe beiden Gewerkschaften lediglich darum, die „Kräfte zu bündeln“.

Diese Aussage trifft vordergründig zu. Die Gewerkschaften, beide dem konservativen Spektrum innerhalb des Deutschen Gewerkschaftsbundes zugehörig, passen nach Rappes Aussage „politisch-klimatisch zusammen“. Und sie weisen angrenzende, sich ergänzende Organisationsbereiche auf. Und beide Gewerkschaften haben schwere Strukturkrisen in ihren Branchen zu bewältigen — die IG Chemie vor allem in Ostdeutschland, wo über das Schicksal der Großchemie immer noch nicht endgültig entschieden ist, die IGBE in beiden Teilen der Republik.

Für die Bergbau-Gewerkschaft ist die Fusion mit der IG Chemie pure Überlebensstrategie. Denn der Niedergang der Kohleförderung in West und Ost wird sich aller Voraussicht nach fortsetzen und die Mitgliederbasis immer mehr aushöhlen. Schon heute wird die einst mächtige Stimme der IGBE nur mehr in den Kohleregionen gehört. Und innerhalb des DGB ist die IGBE der Mitgliederzahl nach inzwischen auf einen unauffälligen Mittelplatz zurückgefallen. Beide Vorstände wollen bis Mai nächsten Jahres den Fahrplan für ihre Vereinigung erarbeitet haben. Am Ende würde eine Organisation von mehr als einer Million Mitglieder stehen — nach IG Metall und ÖTV die drittstärkste Organisation innerhalb des DGB.

Für die im Energiebereich zuständige ÖTV kann das keine beruhigende Perspektive sein. Auch wenn die beiden Vorsitzenden Berger (IGBE) und Rappe (IGCh) Arglosigkeit demonstrieren, zielt die Vereinigung doch auf den umstrittenen Energiebereich. Der gehört laut Schiedsspruch des DGB zur ÖTV.

Als ersten Schritt zur Vereinigung, so Rappe, werde gleich zum Beginn des neuen Jahres eine paritätisch besetzte Kommission ihre Arbeit aufnehmen, um gemeinsame Grundsätze in der Energiepolitik zu erarbeiten. Rappe und Berger haben nie verborgen, daß sie die DGB-Position zum Ausstieg aus der Atomenergie nicht teilen. Aber sie wollen nicht einfach zur früheren atomfreundlichen Gewerkschaftspolitik zurückkehren, sondern jetzt die Zukunftsenergien, etwa die Solarenergie, ins Zentrum einer neuen gewerkschaftlichen Strategie stellen.

Mit dem energiepolitischen Einstieg für ihre Kooperation schaffen sich beide Gewerkschaften die Plattform für ihre organisationspolitischen Interessen. Denn beide Gewerkschaften organisieren Teilbereiche der Energiebranche, die zusammengenommen für die ÖTV zu einer ernsthaften Konkurrenz würden: die IGBE etwa jene Kraftwerke, die unmittelbar im Verbund mit der Kohleförderung betrieben werden, die IG Chemie zum Beispiel die Hanauer Atomfabriken. Und viele Atombetriebsräte würden lieber heute als morgen von der ÖTV zur atomfreundlichen IGBE wechseln.