Die Zeit von Entführungen und Geheimgesprächen ist vorbei

■ Der Waffenstillstand zwischen Iran und Irak, das Ende der Rivalität der Supermächte und der Golfkrieg haben eine Lösung der Geiselaffäre ermöglicht

Wenn man nach einem Datum sucht, an dem die Geiselaffäre im Libanon angefangen hat, dann wäre das wohl am ehesten der 4.7.1982. An diesem Tag wurden drei iranische Diplomaten und ein Journalist vermutlich von christlichen Milizionären verschleppt und später umgebracht. Den vier entführten Iranern wurde nie die Aufmerksamkeit zuteil wie anderen Geiseln, unter anderem deshalb, weil sie die „falsche“ Nationalität besaßen. Zwei Wochen später war es soweit: am 19.7.82 wurde der erste westliche Staatsbürger im Libanon gekidnapped. Die Entführung von David Dodge, dem amtierenden Präsidenten der Amerikanischen Universität von Beirut, war der Presse nur eine Kurzmeldung wert. Dodge kam ein Jahr später mit syrischer Hilfe wieder frei. Der Name seiner Entführer, Islamischer Heiliger Krieg (Al Jihad al Islami), sorgte damals unter den westlichen Ausländern in der libanesischen Hauptstadt noch nicht für Angst und Schrecken, weil die Gruppe so gut wie unbekannt war. Die israelische Belagerung in Beirut war es, die damals für Schlagzeilen sorgte.

Der massive bewaffnete Widerstand gegen die israelische Besatzung im Süden, der zunehmend von der überwiegend schiitischen Bevölkerung getragen wurde, sollte sich als Katalysator für die libanesisch-israelische Geiselaffäre erweisen. Insgesamt wurden seit 1984, als das Beispiel Dodge anfing Schule zu machen, über 90 Ausländer entführt. Die Gruppen mit den militant-klangvollen Namen, die mit den Kidnappings in Zusammenhang gebracht wurden und teilweise auch mit Anschlägen und Flugzeugentführungen von sich reden machten, unterschieden sich zwar in ihren Forderungen, nicht aber in ihrer ideologischen Ausrichtung. Sie wollten inhaftierte Gesinnungsgenossen freipressen, verlangten ein Ende der Unterstützung für den Irak im Krieg gegen den Iran oder forderten die Freilassung arabischer Gefangener durch Israel. Aber alle diese Gruppen dürften letztendlich im politischen Umfeld der Schiitenbewegung Hizbollah angesiedelt sein; ob es überhaupt klare organisatorische Abgrenzungen gibt, ist zweifelhaft.

Die Kidnapper und ihre ausländischen Freunde

Hizbollah, die ihre Basis in den armen Vororten Beiruts und im Südlibanon hat, wurde mit iranischer Hilfe ins Leben gerufen. Junge Männer, die sich nach der Invasion von 1982 dem Kampf gegen die israelische Besatzung verschrieben, fanden hier eine Alternative zur ebenfalls schiitischen Amal-Bewegung, die zwar aktiv am bewaffneten Kampf beteiligt war, sonst jedoch eher auf Reformen des politischen Systems setzte, um den libanesischen Schiiten aus ihrer Benachteiligung zu helfen. Im Unterschied zu Amal hört für Hizbollah der Kampf gegen Israel nicht an der Grenze zwischen beiden Ländern auf.

Die Kidnappergruppen unterhielten Beziehungen vor allem zu Iran und Syrien, ohne daß jedoch jede einzelne ihrer Operationen aus Teheran oder Damaskus ferngesteuert war. Interne Fraktionierungen, Clan- Strukturen und unterschiedliche Interessen wurden unter anderem im August dieses Jahres offenkundig, als ein französischer Staatsbürger nur wenige Stunden nach der Freilassung des Briten John McCarthy verschleppt und kurz darauf wieder auf freien Fuß gesetzt wurde. Es war der regionale und internationale Kontext, der zu einer Interessenidentität von Geiselnehmern und Regimes führte und den Poker von Entführungen und Geheimverhandlungen förderte. Wenn heute dank der UN-Vermittlung die Schließung der Geisel- Akte kurz bevorsteht, dann wirft das auch ein Schlaglicht auf die veränderte Interessenlage der „Sponsorenstaaten“ Iran und Syrien.

Das erste Anzeichen für das Abflauen der „Geiselkrise“ — die rund 400 von Israel und seiner SLA-Miliz verschleppten Schiiten und Palästinenser fielen nicht unter diesen Begriff — war der Waffenstillstand im fast achtjährigen Krieg zwischen Iran und Irak im Sommer 1988. Damit entfiel eine wichtige Triebkraft für die schiitischen Kidnapper, die immer wieder ein Ende der Waffenlieferungen westlicher Staaten, allen voran Frankreichs, und der arabischen Golfanrainer für Saddam Hussein forderten. Nicht zufällig war Syrien das einzige arabische Land, das in diesen Jahren dem Iran gegen den in Bagdad herrschenden rivalisierenden Flügel der Baath-Partei die Stange hielt.

Ost-West-Konflikt und Geisel-Deals

Dieser Trend wurde verstärkt durch die sich abzeichnenden Veränderungen in der Sowjetunion — weniger, weil Syrien damit die Unterstützung aus Moskau verlieren sollte, sondern vielmehr, weil sich die Chancen für zum Teil profitable Deals hinter den Kulissen mit dem Ende der Rivalität der Supermächte erheblich verschlechterten. Bei den Waffenlieferungen unter der Reagan-Administration an den Iran in den Jahren 1984 bis 1985 ging es nicht nur um die Freilassung von US-Bürgern im Libanon. Ein wesentlicher Faktor war auch, im Iran wieder einen Fuß in die Tür zu setzen und einem möglichen verstärkten sowjetischen Einfluß vorzubeugen. Mit der rasanten politischen Entwicklung in Moskau stand letztendlich einer Ausdehnung der US-Einflusses im Nahen Osten nichts mehr entgegen. Die alte Ordnung, die Entführungen und Deals begünstigt hatte, neigte sich dem Ende entgegen.

Es war die irakische Invasion in Kuwait, die dann das Ende der libanesisch-israelischen Geiselaffäre einläutete. Ausgerechnet Saddam Hussein sorgte für die Erfüllung der zentralen Forderung der einflußreichsten und ältesten Kidnapper- Truppe Jihad: Im Zuge der Invasion kamen 17 Gesinnungsgenossen frei, die in Kuwait wegen Anschlägen verurteilt worden waren. Daher auch die Initiative der Organisation vom Sommer dieses Jahres, mit ihrem Brief an UN-Generalsekretär Perez de Cuellar die Geiselakte im Rahmen einer umfassenden Lösung zu schließen.

Die Beteiligung Syriens an der Anti-Saddam-Allianz schließlich engte den Spielraum der Kidnapper weiter ein, da das Regime in Damaskus freie Hand im Libanon erhielt. Zwar weigerte sich Hizbollah, ihre Waffen abzugeben, aber der Aktionsraum beschränkte sich zunehmend auf den Südlibanon. Die finanzielle und personelle Unterstützung aus Teheran ebbte ab, und wiederholt kehrten Delegationen mit leeren Händen aus der iranischen Hauptstadt zurück. Das staatliche Interesse an Geldern aus dem Westen und der damit verbundenen Notwendigkeit, das Image der Unterstützung von „Terrorgruppen“ loszuwerden, wurde zum Gebot der Stunde; das politische Geschäft mit den Entführungen hatte sich überlebt. Das gilt gerade auch für die Islamische Republik, die für den Wiederaufbau des Landes dringend auf Investitionen aus dem Westen angewiesen ist. Es ist sicherlich kein Zufall, wenn am Tage der Freilassung des US-Bürgers Cicippio auch Gelder nach Teheran flossen: die USA zahlten Iran 260 Millionen Dollar, als Kompensation für noch unter dem Schah-Regime georderte und bezahlte, aber niemals erhaltene Waffen.

Auch wenn man heute davon ausgehen kann, daß vor Ablauf der Amtszeit von Perez de Cuellar Ende des Monats alle Betroffenen freikommen, bleiben doch zwei Probleme bestehen. Das erste betrifft die persönliche Zukunft der Kidnapper. Ob es hier Absprachen gab, ist nicht bekannt. Doch in diesen Kreisen dürfte der Fall Fawas Junis nicht in Vergessenheit geraten sein. Der Entführer eines Flugzeuges wurde 1987 von einem FBI-Agenten in internationale Gewässer gelockt, gefangengenommen und 1989 in Washington zu dreißig Jahren Haft verurteilt. Das zweite Problem ist ein politisches. Mit einem Ende der Geiselaffäre verschwinden die Täter und ihr politisches Umfeld, vor allem im israelisch besetzten Südlibanon, schließlich nicht einfach in der Versenkung der Geschichte. Im Gegenteil: Wie auch in der Westbank und dem Gaza- Streifen wächst hier der Widerstand gegen eine Lösung des Nahostproblems. Es ist daher kein Wunder, wenn heute im Libanon ein massiver israelischer Angriff im Süden des Landes befürchtet wird, wenn alle Geiseln und Gefangenen erst einmal frei sind.