Kunst, Jodpillen & Gehacktes

■ Wachmannstraße: Galerie stellt im Laden aus, doch niemand guckt hin

Demnächst in Ihrer Zoohandlung: Neben Jodpillen für Kanarienvogel Hansi und Kraftfutter für Ihr Meerschweinchen packen Sie gleich noch den in Acryl auf Leinwand gebannten Papagei in Überlebensgröße mit ein. Hat es Sie in die Buchhandlung in der Wachmannstraße verschlagen, sparen Sie sich die Anschaffung eines Zweitbuches zwecks Füllen des Bücherregals: Schmücken Sie ihr Wohnzimmer stattdessen mit der dort zu erwerbenden Litographie — Motiv: ein zerfleddertes Buch.

Seit Mittwoch hängt und steht in 30 Geschäften in der Wachmannstraße Kunst: Bis Weihnachten staffiert die Lilienthaler „Galerie Kühn“ die in der Werbegemeinschaft Wachmannstraße zusammengeschlosenen Läden mit passenden Bildern aus. Im Delikatessengeschäft hängt eine Hummer-Radierung, im Weinladen eine Weinflasche in Öl. An dieser Einheit von Ware und Werk liegt es wohl, daß die meisten KundInnen bisher kaum einen Blick auf die Kunst zwischen Gehacktem und Brötchen geworfen haben. Und eine Bäckerei- Verkäuferin wußte gestern noch nicht, was da eigentlich in ihrem eigenen Schaufenster hängt. Einige KundInnen sollen sich aber schon nach der Preisliste erkundigt haben — von 250 Mark bis 6.900 Mark reicht die Preispalette — und interessiert von Geschäft zu Geschäft gehuscht sein.

Die Idee, „mal Kunst hierher zu bringen“, hatte Otmar Heine, Vorsitzender der Werbegemeinschaft, schon länger. Jetzt konnte er auch die anderen LadeninhaberInnen dafür gewinnen: Über ein halbes Jahr war die Wachmannstraße vom Stern her gesperrt, die Laufkundschaft blieb weg. Der Weg war frei für die Zusammenarbeit mit Galeristin Kühn: Die „Kunst auf die Straße bringen“ will sie mit der Aktion, Schwellenangst abbauen. Daß die Bilder manchmal kaum auffallen, findet Heine nicht so schlimm: „Die Leute sollen halt suchen — was ist Kunstwerk, was Reklame?“

Etwas skeptisch waren einige Geschäftsleute schon: „Da weiß man ja nie, was hier bei uns in der Bäckerei so an das Bild drankommen kann, Fett und Mehl und so...“ Oder:“Ich finde unser Bild schlichtweg scheußlich.

Was hält der Mann von der Straße von Kunst in den Schaufenstern?“ — „AchGottja, ich war auch mal Idealist...“

skai