Ärzte wollen politisch werden

■ Wahl zur Ärztekammer: Kritische Mediziner treten gegen Konservative an

Die Bremer Ärzte wollen die Gesundheitspolitik selbst in die Hand nehmen. „Wer anders als wir soll zu gesundheitlichen Fragen Stellung nehmen?“, fragt Hermann Schulte-Sasse, Internist bei der AOK in Bremen. Ihren Einfluß wollen die Ärzte über eine starke und offensive Ärtzekammer wahrnehmen. Dieses Gremium, das zur Zeit in Bremen noch fest in der Hand konservativer Mediziner ist, wird am 13. Dezember von allen niedergelassenen und angestellten Ärtzen neu gewählt.

„Wir brauchen dringendst einen Ausschuß für Umweltmedizin in der Ärztekammer, brauchen auch einen Methadonbeauftragten, damit Argumente aus ärztlicher Sicht öffentlich werden“, nennt Schulte-Sasse Beispiele eines Forderungskataloges kritischer Ärzte. Schulte-Sasse tritt bei der kommenden Wahl für die „Liste Gesundheit“ an.

Der stärkste Gegner dieser Liste ist Karsten Vilmar, Oberarzt im Klinikum St. Jürgenstraße und seit 1976 amtierender Präsident der bremischen Ärztekammer. Für ihn ist eine Politisierung der Kammer, die als öffentlich rechtliche Körperschaft gesetzlich definiert ist, schlichtweg rechtswidrig. Politische Einmischung lehnt er ab. Seine Politik steht für drei konservative Ärtzelisten: Marburger Bund, Berufsverband praktischer Ärzte und Hartmannbund.

Schon in den zurückliegenden vier Jahren hatten sich diese drei Listen zu einer Koalition gegen die „Liste Gesundheit“ zusammengeschlossen. Und obwohl die kritischen Ärzte mit 36 Prozent der abgegebenen Stimmen 1987 auf Anhieb zur stärksten Einzelfraktion geworden waren, besetzten die konservativen Koalitionäre in allen Ausschüssen und Gremien der Kammer die entscheidenden Sitze. Erst eine Gesetzesänderung nach Initiative der Aufsichtsbehörde, der Senatorin für Gesundheit, verschaffte der „Liste Gesundheit“ einen Ausschuß-Vorsitzenden — und der Kammer dadurch einen Ausschuß, der Bremer Ärzte unabhängig von der Pharmaindustrie fortbilden soll.

Die „Liste Gesundheit“ hat Themen wie medizinische Ethik und Medizin im Nationalsozialismus angepackt. Vilmar wirft ihr dagegen vor: „Die Hauptschwierigkeit mit der Liste Gesundheit liegt darin, daß sich einige von diesen Ärzten vor einiger Zeit noch aktiv für die Unterstützung der Kommunisten eingesetzt und DKP-Aufrufe unterzeichnet haben.“

In Berlin haben die kritischen Mediziner bereits das Sagen. Monatlich erscheint ein gesundheitsrelevanter Veranstaltungskalender, eine erfahrene Allgemeinmedizinerin betreibt Bürgerberatung und ein Rehabilitationsprojekt für Alte wurde eingerichtet — gemeinsam mit Wohlfahrtsverbänden und Kassenärztlicher Vereinigung. „Wir müssen die Definitionsmacht für Gesundheitspolitik in die Hand nehmen“, motiviert Berlins Ärztekammerpräsident Huber die KollegInnen in Bremen. ra