: Neue Verschuldung »ohne Elendsstimmung«
■ Berlins Nettoneuverschuldung wird im kommenden Jahr 5,8 Milliarden Mark betragen/ Doch bei den Beratungen zum Haushalt zeigt sich die große Koalition selbstzufrieden/ SPD wertet Kritik als buchhalterisches Verständnis von Politik
Berlin. Als am gestrigen Morgen Finanzsenator Elmar Pieroth im Kasino des Abgeordnetenhauses seinen Frühstücksimbiß orderte, hatte er noch nicht einmal mehr genug Geld in der Tasche. Er mußte den Ober mit der Bezahlung eines Hackepeterbrötchens auf das heutige Ende der Haushaltsberatungen vertrösten. Doch auch nach der zweiten Lesung des Haushaltes dürfte das Loch in Pieroths Tasche nicht kleiner geworden sein.
Schon im Sommer stand fest, daß die Nettoneuverschuldung im kommenden Jahr 5,8 Milliarden Mark betragen wird. 500 Millionen Mark sollten durch den Wegfall von 10.000 Stellen im öffentlichen Dienst eingespart werden, doch zum ersten Januar 1992 sind davon lediglich 2.811 gestrichen. Nichtsdestotrotz attestierte der Vorsitzende des Hauptausschusses Klaus Franke (CDU) dem Finanzsenator eine »großartige Leistung«. Dies blieb fast die einzige konkrete Würdigung des Finanzpapiers. Lediglich der Abgeordnete des Bündnis 90, Arnold Krause, machte sich die Mühe, die Lücken in Pieroths Kalkulationen nachzurechnen und mußte sich prompt vom Fraktionsvorsitzenden der SPD, Ditmar Staffelt, ein buchhalterisches Verständnis von Politik vorhalten lassen.
Die minutiöse Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Regierungspolitik war bei den Vertretern der großen Koalition nicht gefragt. In ihren Reden klangen eher die großen Entwürfe an, die satte Mehrheit im Parlament nötigte die Sprecher von SPD und CDU weniger, auf die Kritik der Opposition zu reagieren, als sich vielmehr rhetorisch gegen den eigenen Koalitionspartner abzugrenzen. So feierte der CDU-Fraktionsvorsitzende Klaus Landowsky das Ergebnis der Berliner Wahlen im Dezember 1990 als eine Abwahl des Systems SED/PDS im Osten und rot/ grün im Westen. Im Gegenzug forderte Staffelt die CDU nachdrücklich auf, das Ausländer- und Asylthema nicht zum Gegenstand des Bezirkswahlkampfes zu machen und endlich einer Verkleinerung des Parlamentes zuzustimmen. Beiden gemeinsam war wiederum die Klage in Bonner Richtung, für bezahlbare Mieten zu sorgen, und das Lamento über die Ineffizienz der eigenen Berliner Verwaltung. Beide Fraktionsführer kündigten deren Reform erneut an. Bis »spätestens Frühsommer 1994« soll dieses Werk nunmehr, nach dem Willen Staffelts, vollbracht sein.
Insgesamt zeigten sich die Regierungsparteien zufrieden. Landowsky wußte sich im Einklang mit der Berliner Bevölkerung, die nach neuesten Umfrageergebnissen, zu 76 Prozent mit ihrer persönlichen wirtschaftlichen Situation zufrieden sei. Für den CDU-Fraktionschef »ein fantastischer Erfolg«: »Da ist nichts zu sehen von Elendsstimmung und Nörgelei«. Dieter Rulff
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